: Schmoren hinter dicken Mauern
Im Knast Santa Fu ist das gemeinsame Kochen für viele Teil der Resozialisierung – und macht gleichzeitig den zwangsweisen Aufenthalt eine Prise erträglicher. Insassen haben jetzt ein köstliches Kochbuch mit ihren besten Knacki-Rezepten veröffentlicht
Von BIRGIT GÄRTNER
„Im Knast wird gekocht?“ Wirtin Christa Mälzer war erstaunt, als ein Gast in der Oberhafenkantine sie bat, mal einen Blick auf eine Rezeptsammlung zu werfen, die Häftlinge in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel zusammengetragen hatten. Die Gastronomin warf einen Blick und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: In Santa Fu wird zwar einfach, dafür mit umso mehr Fantasie und Kreativität gekocht – vor allem aber international. Die Rezepte waren überzeugend, trotzdem zögerte sie, als sie gebeten wurde, die Schirmherrschaft für ein Knast-Kochbuch zu übernehmen. „Als ich erfuhr, dass ein Teil des Erlöses dem Weißen Ring zur Unterstützung von Verbrechensopfern zugute kommen sollte, habe ich dann doch zugesagt“, sagt Mälzer.
Sie sah sich die Kochanleitungen genauer an, gab Tipps und wählte aus. „Wir hatten so viele Rezepte, die konnten wir unmöglich alle nehmen“, sagt sie. Das Ergebnis ist das Buch „Huhn in Handschellen – Das Knast-Kochbuch mit Original-Rezepten, die auch in Freiheit schmecken“. Kapitel wie „vor Gericht“, „keine Gnade“, „mildernde Umstände“ und „süßer Trost“ beinhalten Anleitungen für Vor-, Haupt- und Nachspeisen, die zum Nachkochen einladen. Als „gnadenlos gut“ beschreiben die Häftlinge selbst ihre Knastküche. „Wenn schon lecker, dann voll lecker. Wenn schon scharf, dann voll scharf. Wenn schon satt, dann voll satt. Wenn es um den eigenen Bauch geht, kennt der Knacki keine Gnade“, heißt es in der Einleitung zu den Hauptgerichten. Die Rezepte reichen von gebratenen Auberginen über Quarkklöße, Bratkartoffeln, Spaghetti („Pasta Depressiva“), Pizza („Mafia-Torten“), Wildsalat, von Löwenzahn, Pfannkuchen und Armen Rittern bis hin zum Gänsebraten mit Rotkohl.
Das klingt fast alles ziemlich banal, das Geheimnis der Knast-Küche ist auch nicht das „was“, sondern das „wie“: Die Küchen sind relativ einfach ausgestattet, die Einkaufsmöglichkeiten begrenzt, also ist Einfallsreichtum gefragt. „Zum Kochen haben wir für 25 Leute einen Herd und einen einzigen Topf. Und der Rest? Organisier’ es Dir, leih’ es Dir, improvisier’! Heute kein Nudelholz für den Pizzateig da? Kein Problem: Nimm doch die Glasflasche … oder die Thermoskanne! Zwei Gabeln zusammen ersetzen den Schneebesen. Improvisieren macht Spaß. Es muss ja nicht immer gelingen. Manchmal lernt man eben, wie man es lieber nicht machen soll. Dazu sind die meisten von uns sowieso hier“, schreibt Oliver P., einer der beteiligten Gefangenen-Köche, selbstironisch.
Als Dank für ihre Mitarbeit an dem Knast-Kochbuch erhielt Christa Mälzer die „außergewöhnlichste Einladung meines Lebens“: Die an dem Kochbuch-Projekt beteiligten Häftlinge luden sie zum Essen ein – nach Santa Fu, versteht sich. Denn „Ausgang“ hat nur das Kochbuch, nicht die beteiligten Köche. „Ich bin völlig unvoreingenommen dahin gegangen“, sagt Mälzer. „Als ich dann aber eine Schleuse nach der anderen durchlaufen musste und sich eine Stahltür nach der andren hinter mir schloss, war das schon ein sehr beklemmendes Gefühl.“ Trotzdem ist sie froh, diese ungewöhnliche Einladung angenommen zu haben. „Die angenehme Atmosphäre, in der wir da zusammen im Knast am Tisch saßen, machte mir wieder einmal klar, wie sehr doch gemeinsames Kochen und Essen das friedliche Zusammenleben fördert. Etwas Sozialeres gibt es nicht, weder vor noch hinter den Gefängnismauern“, schreibt sie in ihrem Vorwort zu „Huhn in Handschellen“.
Das Knast-Kochbuch ist ein Leckerbissen – nicht nur wegen der bestechend einfachen, dennoch raffinierten Rezepte, sondern auch wegen der wunderschönen handgemalten Illustrationen von Sven Brauer, der als „freier Künstler, gefangen“, firmiert. Auch er ist ein Meister der Improvisation, denn statt teurer Aquarellfarben muss er sich mit Ruß, Kaffee und Rote-Beete-Saft behelfen.
Das Knast-Kochbuch ist heiße Ware, mit der auch gehandelt werden darf: Dank der sorgfältig ausgewählten Rezepte und der liebevollen Illustrationen eignet sich „Huhn in Handschellen“ ganz ausgezeichnet als Geschenk für alle Hobbyköche und solche, die es noch werden wollen – oder sollen. Doch Achtung! Ganz ungefährlich ist die Lektüre des Knast-Kochbuchs nicht: „Einige Rezepte machen nämlich süchtig. Dafür haften wir“, verspricht Oliver P.
„Huhn in Handschellen“: Edition Temmen, Bremen 2007, 96 Seiten, 61 farbige Abbildungen, 16,90 Euro
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