Limonade in der Wüste

Das Zeughauskino zeigt in der Retrospektive „Im Aufbau“ ab heute Filme aus den ersten dreißig Jahren Israel. Sie erzählen vom Aufbau des Landes durch jüdische Bauern, von rastlosen Machos und der filmischen Dimension des zionistischen Projekts

Zionismus ist die Projektion einer Idee auf eine von Gott verlassene Gegend

VON TAL STERNGAST

Mit Homa Umigdal – Turm und Mauer – wurde der Zionismus vor der Staatsgründung 1948 in die Praxis umgesetzt. Um Land zu besetzen, wird über Nacht eine Befestigung gebaut, dann in der Mitte ein Turm aufgestellt, um etwaige Angreifer früh erkennen zu können. Das Bild des Holzturms, der von Männern vom Boden in die Senkrechte gezogen wird, wurde oft gefilmt. Nathan Axelrod, Yoel Zilberg und Uri Zohar verwendeten es in „Etz o Palestine“ („Die wahre Geschichte Palästinas“) von 1962. Der 60-minütige Film ist eine mit Humor geschnittene Sammlung von Filmausschnitten der propagandistischen Carmel-Wochenschauen aus den Dreißigern und Vierzigern, die Axelrods Filmfirma damals produziert hatte. Ein Erzähler, Chaim Topol, berichtet leicht ironisch über die Entstehung des Staates Israel, als wäre es eine Legende.

„Etz o Palestine“ ist einer von zwölf israelischen Filmen, die ab heute in der von Ralf Dittrich kuratierten Retrospektive „Im Aufbau“ im Zeughaus zu sehen sein werden. Vier von ihnen sind Dokus, der Rest Spielfilme. Der älteste datiert von 1954, der jüngste entstand 1977, als erstmals eine rechte Regierung unter Menachem Begin gewählt wurde. Kaum einer dieser Filme ist je in Deutschland zu sehen gewesen, aber auch in Israel liefen viele von ihnen lange nicht mehr im Kino und wurden erst für diese Retrospektive restauriert.

Das Sympathische an dieser Reihe ist, dass die Filme nicht als bloße Illustration einer These dienen, sondern jenseits eines exotisierenden Blicks nachvollziehbar machen, wie sich die Filmsprache in Israel entwickelt hat. Die Reihe ermöglicht deutschen Zuschauern historische Einblicke, die über das reduzierte Vokabular von Bildern hinausweisen, mit denen Israel heute in den Medien repräsentiert wird.

Drei Jahre nach „Etz o Palestine“ veröffentlichte Uri Zohar, der bald zur zentralen Figur des israelischen Films werden sollte, seinen ersten Spielfilm „Hor BeLevanah“ („Hole in the Moon“). Tzelnick, der von Zohar selbst gespielt wird, erreicht mit einem Floß das Gelobte Land, das er sogleich küsst. Er nimmt einen Bus, steigt in der Wüste aus und eröffnet einen Kiosk, in dem er erfolglos Limonade zu verkaufen sucht. Aus Langeweile beginnt er schließlich Filme zu machen. Zohar improvisiert mit Freunden, die er als Schauspieler engagiert hat, und lässt ein Westernfilmset im Film entstehen. Schnell lösen sich in dieser surrealistischen Szenerie die Grenzen zwischen der realen Produktion und derjenigen im Film auf.

„Hor BeLevanah“ hat keine linear erzählte Handlung und spricht die Sprache des europäischen Avantgardekinos. Einerseits setzt sich „Hor BeLevanah“ mit den Grenzen der cinematischen Illusion auseinander, ständig werden Filmkameras und andere Utensilien gezeigt. Andererseits sind seine Bilder oft zweideutig, weil er die Bildsprache zionistischer Propaganda aufnimmt – die Urbarmachung der Wüste, Zeugnisse der Wehrhaftigkeit und romantische Ruinen, die an arabische Dörfer erinnern. Der zionistische Film war das lokale visuelle Erbe, mit dem sich Zohar auseinandersetzte. Die in der Retrospektive gezeigten Filme „Hill 24 doesn’t answer“ (1954) von Thorold Dickinson und „Es waren zehn“ (1960) von Baruch Dienar sind für ihn beispielhaft. In beiden wird der neue Jude verherrlicht, der als Krieger oder Bauer erscheint.

Dass in Zohars „Hor BeLevanah“ auf die Ähnlichkeit zwischen Mauer und Turm, die immer schon an Filmsets erinnerten, und dem Bau der Kulissen des Westernsets abgezielt wird, ist alles andere als zufällig. Immer wieder schneidet Zohar Dokumentaraufnahmen entstehender israelischer Städte in seine Handlung. „Hor BeLevanah“ ist so die metaphorische Kehrseite von „Etz o Palestine“, indem die filmische Dimension des zionistischen Projekts gezeigt wird: Der Zionismus ist die Projektion eines Konzepts auf eine gottverlassene Gegend im Nahen Osten.

„Hor BeLevanah“ war ein krasser kommerzieller Misserfolg, und Uri Zohar hat nie wieder einen so experimentellen Film gedreht. Er entwickelte aber dennoch eine eigene Filmsprache, die auf der Arbeit mit Laiendarstellern basierte. Später verband man mit ihr den Begriff der „Neuen Sensibilität“. Zohar nutzte reale Locations, an denen sich seine Protagonisten auch sonst bewegten, und arbeitete mit realistischen Dialogen. Seine Arte-Povera-haften Filme waren undramatisch, aber intim und emotional bewegend. Einer der letzten Filme Zohars, „Eynayim Gdolot“ von 1974, handelt von dem gehetzten Basketballtrainer Benny Fuhrmann, der auf der Flucht vor sich selbst ständig in Bewegung ist. Fuhrmann ist eine typische Zohar-Figur. Er folgt keiner Ideologie und ist Opfer seiner eigenen Machohaftigkeit.

Was die Retrospektive als Entwicklung vom offiziösen zionistischen Film zum Autorenfilm beschreibt, sind allerdings in Wirklichkeit zwei Seiten derselben Medaille. Denn Zohar und seine Kollegen posierten seit Ende der Sechziger zwar als Protagonisten einer freizügigen, gegen die puritanische Pioniergesellschaft gerichteten Gegenkultur. Tatsächlich aber war diese Boheme beinahe symbiotisch mit dem zionistischen Establishment verwoben. Die wenigen, immer wieder auftretenden Schauspieler und ihre Regisseure dienten allesamt in der Armee oder ihren Vorläuferorganisationen. Sie gehörten fast alle zum Establishment der aus Europa stammenden aschkenasischen Juden.

Erst „Or Min HaHefker“ („Light Out of Nowhere“) von Nissim Dayan begann wirklich damit, an Tabus zu rühren, nämlich der bis dahin nicht thematisierten Diskriminierung der orientalischen Juden. Der quasi-dokumentarische Film atmete den Geist der israelischen Black Panthers. Dass er schnell aus den Kinos und dem Bewusstsein der Israelis verschwand, lag unter anderem am Jom-Kippur-Krieg, der die Aufmerksamkeit von den explosiven inneren Konflikten ablenkte. Erst unter Begin, der sich auf die Wählerstimmen der Mizrachim stützte, wurde ihre Diskriminierung zum vieldiskutierten Thema. Uri Zohar, der als Regisseur bis dahin das säkulare, urbane und anarchische Israel verkörpert hatte, verabschiedete sich hingegen aus der Welt der Filmboheme. 1979 wurde der Mann, der in seinen eigenen Filmen oft halbnackt aufgetreten war, Rabbiner.

Die Retro „Im Aufbau“ ist ab heute Abend im Zeughauskino zu sehen