: Besuch einer Ausstellung
Er hat nicht bloß Models abgelichtet, sondern immer auch klug konstruierte Kunstwerke geschaffen: Beim gemeinsamen Rundgang durch seine Hamburger Retrospektive kommentiert der Modefotograf und Sammler F. C. Gundlach wichtige, bizarre und tragische Fotos
F. C. GUNDLACH, 81, hat jahrzehntelang Mode fotografiert – für Film und Frau, Stern, Brigitte. 2000 gründete er die Stiftung Gundlach, 2003 das „Haus der Photographie“ in den Hamburger Deichtorhallen. Seine aktuelle Retrospektive ist dort bis September zu sehen. FOTO: DPA
PROTOKOLL PETRA SCHELLEN
In Berlin hatten wir kaum Locations. Denn Trümmer mussten wir nach 1945 natürlich ausblenden. Aber die Avus, die schnellste Rennstrecke der Welt, war unversehrt, und so haben wir 1956 dort fotografiert. Dabei war Berlin von 1870 bis 1961 wichtigste Modestadt Deutschlands gewesen. Das lag daran, dass sich dort Modeschöpfer und extrem gute Schneider trafen. Die kamen – infolge einer Immigrationswelle nach den Pogromen um die Jahrhundertwende – aus Osteuropa. In Deutschland durften sie sich nicht niederlassen, sondern nur ambulant handeln. Das taten sie – zunächst mit mitgebrachten Kleidern. Später haben sie eben genäht. Ihre Fertigkeiten waren unglaublich: Sie konnten zum Beispiel Kleider aus Stiftperlen machen. Ich kannte einige dieser Werkstätten, die meist Frauen betrieben, die 30 bis 40 Angestellte hatten. Allerdings wohnten diese Leute im Osten, während die Modeschauen im Westen stattfanden. Die Berliner Modebranche exportierte enorm viel und hatte ein Niveau , das dem in Paris entsprach. Sogar die Nazis haben noch 1941 eine Hochglanz-Modezeitschrift produziert, um zu exportieren und Mode gegen Erz zu tauschen. Nach dem Krieg zogen dann aber immer mehr Salons nach Westen. Da die Schneiderinnen im Osten lebten, erlosch diese Kooperation 1961 mit dem Mauerbau.
Dies ist ein sehr wichtiges, extrem persönliches Foto von Romy Schneider. Sie hatte damals gerade den Film „Lysistrata“ gedreht. Sie spielte eine tragische Rolle und das Publikum nahm es nicht an. Sie war todunglücklich. Ich kannte sie damals ganz gut, und als sie in Hamburg war, rief sie mich an, damit ich Fotos von ihr machte. Wir sind in mein Atelier gefahren und haben ungefähr drei Stunden fotografiert – nur ein Assistent, sie und ich. Und auf jedem Bild dieses Films ist sie eine andere Person. Sie hatte ihre Rolle abgelegt und war ganz sie selbst. Man muss dazu wissen: Wenn sie für sich selbst stand, war sie sehr unsicher. Eine Katastrophe. In ihren Rollen war sie prächtig. Sie war ein Medium. Aber dieses Bild, das 1961 hier in Hamburg entstand, ist das vielleicht tragischste, das es von ihr gibt. Sie war gerade einmal 21 und befand sich in einer hoch dramatischen Lage, in der sie eben nicht mit ihrem Kummer allein sein, sondern sich beim Fotografiertwerden finden wollte. Das war ja gerade das Mutige: sich jemandem in die Hand zu geben. Jede Porträtsitzung ist ein Dialog zwischen Menschen. Und bei ihr hatte ich das Gefühl, wirklich zum Kern vorzudringen. Diese Bilder sind ganz nah an ihr dran.
Jean-Luc Godard stellte 1961 auf der Berlinale seinen ersten Film vor, „Außer Atem“. Damals kannte ihn kein Mensch, und weil unser Atelier gegenüber von seinem Hotel lag, kam er rüber und sagte, ich solle ein Porträt von ihm machen. Wir verabredeten uns und als er reinkam, trug er eine dunkle Sonnenbrille. Ich bat ihn freundlich und höflich, die Brille abzunehmen. Da wurde er ein bisschen böse und sagte: Nein, die Brille nehme er nie ab, die sei sein Markenzeichen. Also schaute ich nach Requisiten, und da ich gerade Mode fotografiert hatte, nahm ich demonstrativ einen winzigen Kinderstuhl der noch da stand, stellte ihn auf das Papier und sagte: Bitte, nehmen Sie Platz. Da grinste er. Er hatte begriffen, dass wir die Rollen getauscht hatten. Er war übrigens in Begleitung eines jungen Mannes, der diese furchtbaren, starken Zigaretten rauchte. Ich hatte ihn nicht fotografiert, weil ich ihn ja nicht kannte. Ich hörte dann, dass er die Hauptrolle in dem Film spielte. Es war Belmondo.
Wichtig war für mich immer das Element der Reportage. Wobei man beim Modefotografieren immer antizyklisch vorgeht. Das führte dazu, dass die Models, wenn die Aufnahmen in Europa – etwa in Paris – gemacht wurden, im Dezember oder Januar in seidendünnen Fähnchen herumliefen, während alle anderen warm angezogen waren. Die Models – hier Gitta Schilling im Jahr 1962 – spielten Theater inmitten eines städtischen Settings, Autos fuhren vorbei, und für mich war klar, dass der Moment gekommen war, als dieser Kinderwagen erschien.
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