die taz vor zehn jahren über die soziale frage und die 1.-mai-demo der npd
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Der 1. Mai hat für die Ultrarechten inzwischen eine größere Bedeutung als der „Rudolf-Heß-Marsch“. Sie versuchen ein Ritual zu besetzen, für das bisher die Gewerkschaften zuständig waren, um so ihre Forderungen aus dem Dunstkreis radikalisierter Randgruppen in den Mainstream zu katapultieren. Sollte es der Ultrarechten gelingen, die soziale Frage zu stellen, wird sie ernsthaft gefährlich.

In den neuen Bundesländern scheint diese Strategie aufzugehen. Die Neonazis stehen für die Jungwähler zum einen für Kapitalismuskritik, zum anderen lösen sie den Gefühlsstau gegen „das System“ auf.

Die NPD braucht den Erfolg einer Massendemonstration, will sie bei den Kommunalwahlen im Frühjahr ihre Gefolgschaft vergrößern. Sie weiß, daß sie die erste gesamtdeutsche Partei ist, deren Basis im Osten lebt. Deshalb muß sie dem Sog des DVU-Wahlerfolgs um so dringender Inszenierungen entgegensetzen, um ihre Mitglieder langfristig zu motivieren.

Die Randale der Linken, von den rechten Strategen heiß herbeigewünscht, überschattet die Gewerkschaftsdemonstrationen. Die Botschaft der Randale lautet: Die anderen sind die Chaoten, wir dagegen die braven Bürger. Wir bieten unserem Jungvolk Action und Thrill, wir zwingen den verhaßten Staat, uns zu schützen.

DVU und NPD marschieren getrennt, kommen aber gemeinsam zum Ziel. Und das heißt: Wir sind nicht die bösen Nazis, wir verkörpern den Protest. Die Mehrzahl derjenigen, die sich zu den Ursachen des Neonazi-Wahlerfolges äußern, fällt darauf herein. Deshalb zur Erinnerung: Ein Nazi ist nicht, wer keine Haare hat (…). Ein Nazi ist, wer Nazis wie Gerhard Frey oder die Nationaldemokraten wählt. Und ein Dummkopf ist, wer nicht merkt, daß das zentrale Anliegen der Ultrarechten nicht die soziale Frage, sondern Rassismus und Antisemitismus ist.

Burkhard Schröder,

taz vom 1. Mai 1997