Siemens-Angestellte zahlen die Zeche

Korruptionsaffäre und Missmanagement lassen den Gewinn einbrechen. Konzern reagiert mit Stellenabbau

MÜNCHEN taz ■ Siemens ist einer der größten und ältesten Konzerne der Welt, mit derzeit rund 400.000 Mitarbeitern. Bei solch beinahe biblischen Dimensionen ist es wohl nicht vermessen, den Propheten Hesekiel zu Wort kommen zu lassen. „So spricht der Herr: Siehe, es kommt ein Unglück über das andere!“ Genau so ergeht es Siemens, seit am 15. November 2006 zum ersten Mal die Staatsanwälte klingelten. An diesem Mittwoch wurden die Zahlen des zweiten Geschäftsquartals vorgelegt – miserable Zahlen: Um zwei Drittel ist der Gewinn eingebrochen auf 412 Millionen Euro. Der Grund: Verzögerungen bei Kraftwerksprojekten, Belastungen aus der fehlkonstruierten Straßenbahn „Combino“ – und die Folgekosten der Schmiergeldaffäre.

Auch die weitet sich immer mehr aus. Die von Siemens mit den Ermittlungen beauftragte Kanzlei Debevoise & Plimpton hatte in ihrem am Vortag vorgelegten Zwischenbericht festgestellt, dass der ganze Konzern ein einziger Schwarzgeldsumpf war. 1,3 Milliarden Euro Schwarzgeld sind bisher bekannt. In nahezu allen untersuchten Geschäftsbereichen hätten die Anwälte „Belege für Fehlverhalten im Hinblick auf in- und ausländische Antikorruptionsvorschriften gefunden“, teilte Siemens mit. Viele Vorstände hätten Kenntnis gehabt von den illegalen Machenschaften. Namen wollte Siemens aber nicht nennen.

„Ganz klar hatte ich dieses Ausmaß und die Breite nicht vor Augen, als ich meine Verantwortung übernommen habe“, erklärte Konzernchef Peter Löscher. Verursacht hat die Probleme wohl hauptsächlich das Management unter seinem Vorvorgänger Heinrich von Pierer, auch wenn Löscher ihn gestern nicht namentlich nannte. Hinter verschlossenen Türen überlegt Siemens jedoch inzwischen, ob ihr alter Chef Schadenersatz leisten soll. Und auch die Münchner Staatsanwaltschaft hat Vorermittlungen gegen von Pierer aufgenommen. Das Leid teilen wollen sich die alte und die neue Führung jedoch nicht. „Wir sprechen mit der Staatsanwaltschaft über Siemens-Angelegenheiten und Herr von Pierer spricht über seine eigenen Angelegenheiten“, ätzte Peter Solmssen, der im Siemens-Vorstand für die Aufklärung der Schmiergeldskandale zuständig ist.

Dem Gewinneinbruch folgten weitere schlechte Nachrichten, diesmal für die Mitarbeiter: Bis 2010 sollen über eine Milliarde bei Vertrieb und Verwaltung eingespart werden. Und auf Nachfrage gab es die Bestätigung für das, was sich jeder denken kann, wenn so viel Geld in so kurzer Zeit eingespart werden soll: „Es wird ganz klar zu einem Personalabbau kommen.“ Wann wie viele Leute gehen müssen, wollte Löscher nicht sagen. Erst im Februar hatte Siemens angekündigt, 7.000 Stellen in der Telekommunikationssparte zu streichen.

Und noch eine Hiobsbotschaft überbrachte Löscher: „Wir gehen davon aus, dass die Folgen der Finanzkrise in kommenden Geschäftsjahr deutlicher im Realgeschäft ankommen werden.“ Ein paar Lichtblicke konnte er doch vermelden: Der Umsatz im ersten Quartal ist um zwei Prozent auf 18,1 Milliarden Euro gewachsen. Der Auftragseingang hat um 12 Prozent auf 23 Milliarden Euro zugelegt. Das Vertrauen der Kunden sei also nicht beeinträchtigt. MAX HÄGLER