Wenn Werber rosa Brillen tragen

Die Werbebranche ist besser als ihr Ruf, behauptet die Hamburger „Texterschmiede“ und verweist auf eine Umfrage unter Agenturen. Doch in Wirklichkeit ist Werbung immer noch ein Knochenjob

Die Wirtschaftsweisheit „Wer nicht wirbt, der stirbt“ haben zynische Kreative längst der Wirklichkeit angepasst: „Wer wirbt, stirbt früher“ Die Branche ist für ihre schlechten Arbeitsbedingungen bekannt: Überstunden gehören zum Geschäft, Wochenend-Arbeit genauso. Das Privatleben leidet nur deshalb nicht, weil hier niemand eines hat.

Dass das Image ausgerechnet der Branche so schlecht ist, die sich hauptberuflich ums Image kümmert, wollte die Hamburger Texterschmiede nicht länger hinnehmen. Das renommierte Ausbildungsinstitut für Werbetexter lancierte via Pressemitteilung die Botschaft: „Arbeitgeber Werbeagentur – viel besser als der Ruf“. „Viele Agenturen haben begriffen, dass sie nur mit guten Konditionen die wirklich guten Leute kriegen und halten können.“, sagte Gabriela Friedrich von der Texterschmiede dem Fachblatt Werben&Verkaufen.

An 60 deutsche Agenturen hatte die Texterschmiede Fragebögen verschickt. Jetzt liegen die Antworten vor – und wer sie liest, liebäugelt spontan mit einem Berufswechsel. Überstunden? Gibt es nicht. Fast überall ist zuverlässig bis 20 Uhr Schluss, freitags – vertraglich geregelt – schon um 16 Uhr. Sollten sich doch mal die Termine drängen, wird Mehrarbeit natürlich bezahlt, auch bei Junioren. Genauso bezahlt werden Fitness-Kurse, Englisch-Unterricht, das Essen in der hauseigenen Kantine und Kaffee aus der sündteuren Espressomaschine. Morgens gibt‘s Gratis-Obst, auch für die lieben Kleinen – die dürfen, wenn‘s mal nicht anders geht, natürlich mit Mama oder Papa in die Agentur kommen. Hunde sowieso. Der legendäre Kicker auf dem Flur wurde abgeschafft, zu Gunsten von Flachbildschirmen und Playstations. Und freitags kommt die Masseuse.

Zu schön, um wahr zu sein? „Jein“, sagt Tanja Markhold. Die 24-Jährige, die in Wirklichkeit anders heißt, wurde in der „Texterschmiede“ ausgebildet und hat in der Branche Fuß gefasst. „Paradiesisch ist es nicht“, sagt sie. Zwar sei das Klima in der Agentur „sehr angenehm und locker“, auch dank großzügiger Pausenräume und -lounges mit Freigetränken. Doch die Arbeitszeiten seien extrem: „Die meisten meiner Kollegen kommen morgens zwischen 9 und 10 Uhr in die Agentur – und vor 22 Uhr geht niemand.“

Dass die Umfrage der Texterschmiede zu einem so eklatant anderen Ergebnis führte, hat einen simplen Grund: Von den 60 versandten Bögen kamen nur 17 ausgefüllt zurück. Wer nichts Positives zu berichten wusste, sagte lieber gar nichts. Image ist eben alles. FLORIAN ZINNECKER