„Kokain heizt den Krieg an“

Seit seinem Hit „La Camisa Negra“ ist Kolumbiens Rockstar Juanes auch in Deutschland ein Begriff. Ein Gespräch über Ruhm, den Linksrutsch in Lateinamerika und Argumente für die Drogenfreigabe

In Lateinamerika ist Juanes, 35, schon lange ein Idol. Weil er sich gegen Landminen und für Aidsprojekte einsetzt, gilt er als nachdenklicher Künstlertyp. Mit dem Album „La Vida Es Un Ratico“ kommt er im Sommer nach Deutschland.

INTERVIEW ZONYA DENGI

taz: Juanes, seit zehn Jahren leben Sie in den USA, doch Ihr neues Album ist in Ihrer Heimatstadt Medellín entstanden. Warum?

Juanes: Weil es meine Heimatstadt ist. Ich bin dort geboren, aufgewachsen, habe Familie und Freunde dort. Und es ist eine wunderschöne Stadt.

Medellín hat auch den Ruf, eine sehr gefährliche Stadt zu sein. Stimmt das nicht?

Das ist leider das Image, das die meisten Leute von Kolumbien haben. Natürlich hatten wir unsere Probleme vor allem in den Achtzigerjahren, wegen der Drogenkartelle. Aber seither hat sich einiges geändert, auch in Medellín. Es gibt zwar immer noch Probleme mit dem Drogenhandel – die ganze Welt konsumiert Kokain, das ist unser Problem. Aber insgesamt sind die Menschen optimistisch.

Doch der Bürgerkrieg mit der Farc-Guerilla hält an …

Auch das hängt mit dem Drogenhandel zusammen. Die Paramilitärs wie die Milizen, sie haben alle einen Sponsor. All das Geld, das sie haben, stammt aus Drogengeschäften. Natürlich gibt es auch eine politische Dimension des Konflikts: Sie fordern Territorium und politische Mitspracherechte. Aber sie töten Menschen und finanzieren sich aus dem Drogenhandel. Das Ganze ist ziemlich kompliziert.

Was ist Ihre Meinung dazu?

Die einzige Lösung, die ich sehe, ist, den Drogenhandel zu legalisieren. Nur um diesem Krieg das Wasser abzugraben, damit sich die Mafia auflöst.

Wie kann das aussehen?

Ich bin nicht für eine totale Freigabe. Aber man könnte mit Marihuana anfangen, das wäre ein guter Start. Marihuana ist nicht schädlicher, als Zigaretten zu rauchen oder Whisky zu trinken. Nur gilt Marihuana nicht als so gesellschaftsfähig wie Alkohol und Nikotin. Bei Alkohol hat man immerhin die Chance, über die Gefahren aufzuklären. Bei illegalen Drogen dagegen hat man keine Kontrolle.

Diese Ansicht ist weder in den USA noch in Kolumbien mehrheitsfähig.

Natürlich – weil sie von dem gegenwärtigen System profitieren. Das macht mich pessimistisch. Denn wenn du mit jungen Leuten in Kolumbien sprichst, dann denken alle wie ich. Alle haben nach 50 Jahren genug von der Situation. Was hält denn diesen Krieg am Leben? Die Drogen. Dabei gibt es längst andere Ansätze. In Kalifornien oder in Holland kann man Marihuana auf Rezept in Drogerien kaufen. Das strikte Verbot bringt die Leute nur dazu, sich gegenseitig umzubringen.

Es gibt doch gute Argumente, die für ein Verbot sprechen. Gerade im Showgeschäft kann man ja sehen, wohin Drogenmissbrauch führen kann. Sind Sie trotzdem für die Freigabe?

Ich bin der Ansicht, dass Leute, die ein Drogen- oder Suchtproblem haben, medizinische Hilfe brauchen und nicht ins Gefängnis gehören. Und Drogen sind ja auch nicht allein ein Problem im Musikbiz, sondern ein breites soziales Problem. Jemand wie Robbie Willliams würde auch Kokain schnupfen, wenn er Fußballspieler oder Journalist wäre. Es ist eine Sucht, und dagegen hilft nur Aufklärung.

Stars wie Britney Spears oder Amy Winehouse haben jüngst spektakuläre Drogenabstürze hingelegt. Warum ist das in Ihrer Branche so verbreitet?

Wenn du Drogen nimmst, fehlt dir etwas – wahrscheinlich Liebe. Das hat vielleicht auch etwas mit der Erziehung zu tun, mit dem familiären Hintergrund.

Liegt es nicht auch am Stress, dem man als Musiker ausgesetzt ist? Ständig soll man kreativ sein, auf Tournee gehen. Verliert man da nicht die Bodenhaftung?

Mag sein. Aber ich habe meine Familie, zwei Töchter, meine Frau, und ich liebe die Musik – das reicht mir. Ich bin Gott dankbar, dass er mir die Chancen gegeben hat, die ich hatte. Klar, ich trinke auch mal gerne Wein oder Whisky. Aber Exzesse sind nicht meine Sache. Natürlich kenne ich Leute im Musikgeschäft, die das tun. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wenn es stimmt, dass viele potenzielle Kunden nicht mehr den Weg in die CD-Läden finden, weil ihnen das Angebot dort zu unübersichtlich geworden ist, dann müssen die CDs eben zu den Kunden kommen: das ist das Geschäftsprinzip der Firma Putumayo, die ihre Weltmusik-Compilations mit ihren kitschig-bunten Covern im Stil naiver Malerei vorzugsweise in Buchläden, Bio-Kaufhäusern und Dritte-Welt-Shops unter die Leute bringt – dort kann man die Musik meist auch gleich hören. Der Name Putumayo steht aber nicht nur für ein cleveres Geschäftsmodell, sondern vor allem für ein enorm gutes Händchen bei der Auswahl der Titel ihrer Compilations, die von „Music from the Coffeelands“ über „Euro Lounge“ bis „Arabic Groove“ für jeden Geschmack etwas zu bieten haben. Zum Jubiläum ist der Sampler „African Party“ erschienen, daneben gibt es noch die „Playground“-Reihe für Kinder. Weniger bekannt ist, dass Putumayo auch Solo-Künstler unter Vertrag hat, deren Karrieren es angestoßen hat: Der Songwriter Habib Koité aus Mali (Foto), dessen sanfte Balladen sich bestens ins Firmenprofil fügen, ist so ein Fall. BX

Sie tragen ein Kreuz um den Hals. Sind Sie religiös?

Ja. Aber ich glaube auf meine eigene Weise an Gott. Ich gehe nicht in die Kirche und brauche sie nicht als Institution. Aber ich respektiere sie, weil meine Familie katholisch ist.

Sie sind als Musiker auch viel unterwegs. Wie halten Sie sich geistig gesund?

Ich treibe viel Sport, stehe morgens um fünf auf und gehe ins Fitnessstudio: das ist meine Droge, sonst würde ich verrückt werden. Außerdem lese ich viel.

Was lesen Sie zurzeit?

Ein Buch von William Ury, das ist ein Anthropologe und Konfliktforscher. Er schreibt über die Bedeutung einer dritten Person für die Mediation von Konflikten. Das lese ich im Augenblick.

Einer Ihrer Songs handelt vom Problem der Landminen. Haben Sie sich schon immer für solche Themen interessiert? Oder kommt das erst durch die sozialen Verpflichtungen, die Ihr Ruhm mit sich bringt?

Eigentlich war ich schon immer sozial engagiert. Aber jetzt bin ich stärker mit solchen Themen befasst und kenne auch die Statistiken. Sehen Sie, in Kolumbien werden täglich drei Menschen Opfer von Minen – die meisten von ihnen sind Kinder. Mir scheint es, als ob sich niemand darum schert. Wenn ich einen Song darüber mache, ändert das wahrscheinlich auch nichts. Aber es ist wenigstens eine Möglichkeit, auf das Problem aufmerksam zu machen.

Als Star Ihrer Größenordnung wird man bestimmt häufig gebeten, sich für wohltätige Zwecke zu engagieren, oder?

Ja, ständig. In Lateinamerika gibt es derzeit ein ganz tolles Projekt, das sich Alas nennt: dort engagieren sich viele Künstler, Intellektuelle und reiche Sponsoren. Nach dem Erdbeben in Peru haben wir Geld gesammelt. Und auch nach dem Hochwasser in Mexiko wurde ich gefragt, ob ich dort auftreten könnte. Sooft es geht, versuche ich, meine Musik und meinen Einfluss positiv nutzbar zu machen.

Welches ist Ihrer Meinung nach das größte Problem in Lateinamerika?

Die soziale Ungleichheit. Viele Menschen besitzen nichts, einige wenige haben alles. Das zieht viele Probleme mit der Bildung oder der Ernährung nach sich.

In den letzten Jahren erlebt Lateinamerika einen politischen Linksrutsch. Steht die soziale Frage dadurch nicht im Mittelpunkt der Agenda?

Weil sie keinen Veranstalter finden konnten, der ihre afrikanische Lieblingsband für ein Konzert nach Würzburg laden wollte, gründete Stefan Oschmann mit einem Freund flugs ein eigenes Festival. Zwanzig Jahre später ist das „Africa Festival“ in Würzburg nicht nur das dienstälteste seiner Art, sondern auch das größte in Europa. Zum Jubiläum befragte man die Fans nach ihren Favoriten. Auf diese Weise ist ein Programm zusammengekommen, das sich wie ein „Who is Who“ der afrikanischen Musikszene liest. So werden sich auf der Mainwiese in Würzburg verdiente Helden wie der Mbalax-Superstar Youssou N’Dour aus dem Senegal, Disco-Queen Angelique Kidjo aus Benin, der Jazz-Trompeter Hugh Masekela aus Südafrika und der Soul-Makossa-Man Manu Dibango auf der Bühne drängeln. Gespannt sein darf man auch auf Newcomer wie die Touareg-Band Toumast, den Songwriter Neco Novellas aus Mosambik, Mpho und Zvimba mit ihrem Topwnship-Jive aus Kapstadt sowie die franko-nigerianische Songwriterin Asa (Foto). Darüber hinaus wird es vom 22. bis 25. Mai eine Filmreihe, ein Kinderprogramm, einen Basar, Podiumsdebatten sowie DJ-Partys geben.

Ich glaube, es wird lange dauern, bis man Ergebnisse sieht. Aber die Richtung stimmt. Ob Brasilien oder Argentinien, die Leute sind froh, dass sich etwas ändert, auch wenn der Wandel eine Weile brauchen wird. In Venezuela ist die Lage speziell: Das Land ist sehr polarisiert. Und auch in Kolumbien ist es etwas anders. Durch den Konflikt dort unterscheidet sich die Situation sehr vom übrigen Lateinamerika.

Das Drogenproblem in Kolumbien haben Sie noch nie in einem Song angesprochen. Warum nicht?

Es ist nicht leicht, darüber einen Song zu schreiben. Vielleicht finde ich eines Tages einen Weg.

In Deutschland verstehen die meisten ja nicht, worum es in Ihren Songs geht. Ist das frustrierend?

Ja, ziemlich – zumindest habe ich es am Anfang so empfunden. Aber mittlerweile denke ich, es hat auch sein Gutes: Die Leute singen die Songs phonetisch mit, tanzen dazu und lassen sich auf die Musik ein – das ist großartig.

Stört es Sie, dass Musik aus Lateinamerika in Europa auf so viele Klischees trifft?

Klar: Viele Leute glauben, diese Musik wäre ein einheitliches Genre. Du musst tanzen, lächeln, es geht um Sommerhitze – aber so einfach ist das nicht. Ich glaube aber, solche Klischees sind normal. Viele denken ja auch, dass Deutsche nur Bier trinken, und alle Spanier Toreros sind.

Tour: 4. 6. Berlin, 5. 6. Köln, 22. 7. Stuttgart, 23. 7. München