Das Bild als Ereignis

Abweichung vom Stereotyp: Das Deutsche Historische Museum stellt junge Bildjournalisten vor

Vor der Eingangstür begegnet der Besucher einer metergroßen Fotografie afrikanischer Bootsflüchtlinge, wie sie den rettenden Strand erreichen. Das erste Bild in der Ausstellung selbst zeigt eine Person, die nur noch aus Knochen zu bestehend scheint, im Sand sitzend. Geschossen wurde das Bild während der Hungersnot im Sudan. Das Deutsche Historische Museum stellt unter dem etwas rätselhaften Titel „Die Welt im Umbruch“ Fotos aus dem von der Firma Agfa von 1991 bis 2003 ausgelobten Wettbewerb „Preis für jungen Bildjournalismus“ vor. Aber anders, als die Werbung und die ersten Fotos suggerieren, liegt der Schwerpunkt weniger auf journalistischen Bildern von Elend und Krisen und mehr auf künstlerischen und dokumentarischen Aufnahmen.

Es ist eine fragwürdige Auswahl von Fotos, die die Kuratoren an den Anfang gestellt haben. Afrika etwa bleibt bei ihnen der Kontinent von Hunger, Krise und Krieg. Die preisgekrönten Bilder des Deutschen Kai Wiedenhöfer wiederum sind ein Klischee des israelisch-palästinensischen Konflikts: Israelische Soldaten stürmen Häuser, palästinensische Kinder werfen Steine. Zwar zeugen diese Aufnahmen von hohem handwerklichem Können, aber es fehlt ihnen die Auseinandersetzung mit dem Topoi. Nur wer den stereotypen Blickwinkel ignoriert, kann sie für preiswürdig und einer Ausstellung wert halten.

Stattdessen hätten die Ausstellungsmacher gut daran getan, die Unterschiedlichkeit der Aufnahmen zu betonen, die oft nur entfernt an „Bildjournalismus“ erinnern. Denn die Bandbreite von Stil und Thematik der über zwei Etagen ausgestellten Fotos ist groß. Welche Verbindung ließe sich schon von den schwarz-weißen Fotos der Deutschen Bettina Flitner zur Bildstrecke „Detour“ des Dänen Asger Carlsen ziehen? Flitners Wendezeit-Porträts von skurril anmutenden Menschen auf dem Mauerstreifen kommen aus einer anderen fotografischen Welt als Carlsens Bilder mit ihrem ironischen Blick auf Amerika. So zeigt der Däne einen Mann im Superman-Anzug, der unter seinem Kostüm an einen kleinen Bankangestellten erinnert, oder auch einen US-Cop mit Pumpgun und dem beunruhigendem Blick eines Musterschülers aus Littleton.

Beeindruckend sind auch die Bilder des ersten Preisträger des Wettbewerbes, Stig Stasig. Der Däne reiste kurz nach dem Ende des Kalten Krieges in die ehemalige Sowjetunion. Auf seinen wenigen Fotos zeigt sich eine facettenreiche Landschaft der Umbruchszeit: ein Kind, das mit offen stehen gebliebenem Mund am 1. Mai nach einem aufsteigenden Luftballon greift, dahinter zwei freundlich wirkende Beamte, die ins Gespräch vertieft sind. Andere Bilder gelten einem angedeuteten Militäreinsatz in Riga oder russischen Waldarbeitern in einer Hütte. Stasig ist Autodidakt, und dennoch folgt seine Bildstrecke einem Motto, das er sich selbst gegeben hat: „Nicht das Bild von einem Ereignis, sondern das Bild, das selbst Ereignis wird.“ Eben das ist Fotografie: Die Welt durch die Augen von jemand zu sehen, der sie lebendig werden lässt.

JAN SCHAPIRA

„Die Welt im Umbruch“ im Deutschen Historischen Museum, Unter den Linden 2, tägl. 10–18 Uhr, bis 15. Juni. Der Katalog kostet 10 €