Auf die Fläche kommt es an

Die Betriebsleitung des Kreiskrankenhauses in Leer möchte den Flächentarifvertrag aushebeln. Die Mitglieder der Gewerkschaft wehren sich mit Streiks – wissend, dass es um Grundsätzliches geht

VON THOMAS SCHUMACHER

Am Donnerstag und am Freitag bestreiken die Mitglieder der Gewerkschaft Ver.di das Kreiskrankenhaus in Leer/Ostfriesland. Dieser Streik hat etwas Grundsätzliches gemeinsam mit dem Bahn- und dem Poststreik: Die Gewerkschaften wehren sich gegen das Aushebeln bundeseinheitlicher Flächentarifverträge.

„Es reicht“, schimpft Ver.di Bezirkssekretär Ralf Pollmann. „Der Betriebsleitung geht es doch nicht um ein paar Prozente mehr oder weniger Lohn. Sie will in erster Linie eigene Hausabschlüsse mit den Beschäftigten aushandeln und zukünftig unabhängig von Flächentarifverträgen agieren.“ Die Arbeitgeberseite scheut den bundesweiten Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVÖD). Mit ihrem Haustarifvertrag will sie Spielraum haben um „die Leistungsfähigkeit der Klinik und die Belastbarkeit der Beschäftigten berücksichtigen zu können“, so Geschäftsführer Holger Glienke. Obwohl Glienke den Beschäftigten teilweise mehr Geld angeboten hat als der Flächentarif im Bund vorsieht, droht er mit Entlassungen, Auslagerung von Betriebsteilen bis hin zur gänzlichen Privatisierung seines Hauses – als Konsequenz der finanziellen Belastung einen geltenden TVÖD.

Eine Privatisierung wurde 2004 abgewendet, als das kommunale Krankenhaus in eine Gemeinnützige GmbH umgewandelt wurde. In der Folge trat das Unternehmen aus dem kommunalen Arbeitgeberverband aus. Alle ostfriesischen öffentlichen Krankenhäuser vollzogen einen ähnlichen Schritt. Nur: Alle sind dem Arbeitgeberverband inzwischen wieder beigetreten und konnten so einen Streik der Belegschaften abwenden. Nun kämpft der Leeraner Arbeitgeber allein gegen den bundeseinheitlichen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst.

In den letzten 16 Monaten wollten sich Krankenhaus und Gewerkschaft auf einen neuen Verhandlungsmodus einigen. Sie schlossen für die Übergangszeit einen separaten Haustarifvertrag für die Beschäftigten ab. Jetzt würde sich Ver.di gerne wieder dem Flächentarifvertrag anschließen, wie alle anderen Häuser der Region auch. „Die Beschäftigten wollen nicht abhängig sein vom guten oder schlechten Willen des Arbeitgebers“, kommentiert Ver.di Sekretär Pollmann das Angebot der Krankhausleitung. Krankenhausleiter Glienke hält dagegen: „Keine der im TVÖD enthaltenen Schutzbestimmungen würden durch unser Tarifangebot geändert werden.“

Ungewollt zur Hilfe kam dem Arbeitgeber das Engagement des Marburger Bundes. Der löste Ver.di als Vertreter des ärztlichen Personals in Tarifverhandlungen ab. Die Ärzte haben nun ihre Verträge in der Tasche. Das Pflegepersonal ist aber noch nicht abgesichert. Die Schwestern und Pfleger und Arbeiter warteten während ihrer Urabstimmung über einen Streik (94,8% pro Streik) vergeblich auf eine Solidaritätserklärung ihrer ärztlichen KollegInnen.

Pikanter Hintergrund des lokalen Streiks ist die Tatsache, dass es in Leer zwei fast gleichwertige Krankenhäuser gibt. Das öffentliche Kreiskrankenhaus und das katholische Borromäus Krankenhaus. Beide sind gebeutelt von der Gesundheitsreform. Trotzdem arbeiten sie in harter Konkurrenz gegeneinander. Dabei lag vor einigen Jahren schon ein unterschriftsreifer Fusionsvertrag auf dem Tisch. Dem Wunsche der Katholiken folgend, verpflichtete sich das Kreiskrankenhaus des SPD dominierten Landkreises sogar, keine Schwangerschaftsabbrüche mehr vorzunehmen. Trotzdem stoppte der Osnabrücker Bischof Bode aus unerklärlichen Gründen die Fusion. „Unser Haus unterliegt besonderen ethischen Ansprüchen“, orakelte Bode.

Statt also gemeinsam den Deckel der staatlichen Kostenbeschränkung zu schultern, konkurrieren beide Häuser jetzt noch schärfer um Patienten. Beide „rüsten“ mit Millionenaufwand ihre Häuser auf, bieten aber weiter ähnliche Leistungen an. Unter dem Strich sind beide Häuser gezwungen, Kosten zu senken. Und das geht nur beim Personal.