berliner szenen Im Amerika Haus

Summerhill is not dead

Die junge Frau auf dem Podium wirkt von Anfang an in der Defensive. Sie vermeidet den Blick nach vorne und spricht so leise in ihr Reversmikro, dass die Zuhörer sich lauschend nach vorne neigen. „Wann ist Summerhill gestorben?“ heißt die Paneldiskussion im Amerika Haus – ein Titel, den der eingeladene Geschäftsführer der Freien Schule Frankfurt später mit nickendem Einverständnis des Publikums als „unverschämt“ bezeichnet.

Die junge Frau, Autorin eines vor vier Jahren kontrovers diskutierten 68er-Romans, hat dazu einiges zu sagen. Gleich zu Beginn platzt die Bombe. Pädophilie, so die Autorin, sei Bestandteil der Kinderladen-Ideologie, das werde immer unterschlagen. Sie zitiert aus dem Erfahrungsbericht eines Stuttgarter Kinderladens, sehr empört. Die Kinder seien von Eltern und Erziehern zu sexuellen Aktivitäten angeleitet worden. Was der antiautoritäre Geschäftsführer dazu meine?

Plötzlich zücken alle Panelteilnehmer mitgebrachte Dokumente mit vorher markierten Stellen. Tatsächlich, sie haben sich auf die Pädophilie in den Kinderläden vorbereitet. Nur das Publikum nicht, das ist nervös, schließlich aufgebracht, als die Moderatorin einen Themawechsel vorschlägt, und fordert die Klarstellung dieses „ungeheuren Vorwurfs“. Pensionierte Lehrer/innen und Kopfschütteln in allen Reihen. Frage eines Zuhörers: Jetzt sei er doch arg enttäuscht, habe keine neuen Erkenntnisse, er sei hierhergekommen, um zu erfahren, warum sein Kind, 30 Jahre alt, nicht mit ihm über seine, des Kindes, Sexualität sprechen wolle. Also da könne man ihm auch nicht helfen. Wie er darauf komme, dass er auf so ein Gespräch ein Recht habe? Einigkeit für einen Moment. Summerhill is not dead.

STEPHANIE WURSTER