Den Laufsteg mit dem Körper bearbeiten

Das Festival „Black International Cinema“ zeigt „How do I look“, eine Dokumention von Wolfgang Busch über die New Yorker Vogueing-Szene. Die queere und prekäre Subkultur findet abseits des öffentlichen Interesses statt

Unzählige auf YouTube hochgeladene Videos zeugen davon, ebenso die auf Highspeed rotierenden Arme der Tecktonik-Tänzer aus Paris: Vogueing, der während der Siebziger in der New Yorker Ballroom-Community entwickelte Tanzstil, bei dem es gilt, sich zu Discobeats als glamouröses Supermodel auf einem Designerlaufsteg zu fantasieren, ist nicht in Vergessenheit geraten. Im Gegenteil: Seit der Tanz durch Madonnas Schwarzweißvideo „Vogue“ 1990 weltweit Mode wurde, haben seine Choreografien einen festen Platz im Gedächtnis der Popkultur.

Die Macher der Londoner Partyreihe „Horse Meat Disco“ etwa laden zu „Balls“, bei denen sich Wettbewerber nach Harlemer Vorbild vor einer Jury mit den eigenen Handflächen bespiegeln bzw. Neid und Bewunderung zufächern; im Video zur letzten Single „Work“ der Ex-Destiny’s-Child-Sängerin Kelly Rowland werfen sich die Tänzerinnen so energisch in Fotoshoot-Pose, wie man es im Musikfernsehen lange nicht mehr sah. Fast könnte man von einem Vogueing-Revival sprechen.

Passend also, dass heute im Rahmen des Black-International-Cinema-Festivals mit „How Do I Look“ ein Dokumentarfilm gezeigt wird, der beleuchtet, was passierte, nachdem das Interesse Anfang der Neunziger von Harlem nach Seattle weiterzog, zu Grunge. Wolfgang Busch, ein seit 1984 in New York lebender deutscher Aids-Aktivist und Filmemacher, hat den Film 2006 fertiggestellt, und beinahe könnte man „How Do I Look“ als inoffizielles Sequel zu „Paris Is Burning“ bezeichnen – jenem Dokumentarfilm, mit dem die Regisseurin Jennie Livingston 1991, ein Jahr nach „Vogue“, zeigte, woher Madonna diese merkwürdigen Moves hatte.

In „Paris Is Burning“ lernte man, dass es in Harlem eine queere Parallelwelt aus konkurrierenden „Houses“ gibt hierarchisch organisierte Ersatzfamilien, in denen junge und oft arme schwule Latinos, Schwarze und Transsexuelle zusammenleben. „How Do I Look“ zeigt: Im Prinzip ist es heute nicht anders. Auch wenn sich die Tanzstile ausdifferenziert und dramatisiert haben und viele alte Voguer inzwischen an Aids gestorben sind.

„How Do I Look“ dokumentiert die Selbstverständlichkeit, mit der in der Community die Konstruktion der Geschlechter gelebt wird: Bei den Schönheitswettbewerben treten heutzutage biologisch echte (lesbische) Frauen gegen Mann-zu-Frau-Transsexuelle an – in derselben Kategorie –, und wenn mal eine biologische Frau gewinnt, sind die Operierten nicht gleich beleidigt. Während Jennie Livingston in „Paris Is Burning“ fasziniert war vom Abgründigen und Bizarren der Szene – von der Fashion-Logo-Versessenheit, welche die Voguer nicht selten zu Ladendieben werden lässt –, dreht Wolfgang Busch mit sympathisierendem Blick. Kaum reflektiert wird daher, dass die gültigen Imperative der Community – „Work the runway“ und „Work that body“ - auch ihre Tücken haben.

Der Ballroom als Trainingcamp für prekäre, diskriminierte Subjekte, die sich auf kreativ-spielerisch-ehrgeizige Art fit machen für die homophobe und sexistische Welt da draußen. Sicher gibt es für diese These auch glänzende Beispiele: Der kurz nach Fertigstellung des Films verstorbene Willi Ninja, die größte Ikone des Vogueings, tourte Ende der Achtziger mit Malcolm McLaren und seinem „House of Ninja“ um die Welt und wurde zum berühmten Modelcoach des amerikanischen Castingfernsehens. Jose Xtravaganza war Tänzer von Madonna und durfte sogar eine eigene Single veröffentlichen. Doch von ähnlichen Karrieren der Ballroom-Szene-Ikonen, etwa der bravourös sämtliche Hollywood-Diva-Tricks durchspielenden Octavia St. Laurent, hat man bislang wenig gehört.

Dennoch ist „How Do I Look“ ein faszinierender Film. Man sieht ihm in jeder Sekunde an, dass er mit schmalem Budget produziert wurde, und paradoxerweise ist er gerade deswegen gelungen. In den Ballroom-Sequenzen gelingt ihm nämlich genau jene magische Transformation, auf die sich auch die Protagonisten des Vogueings spezialisiert haben: Ungeachtet aller widrigen Umstände wird hier quasi aus dem Nichts ein Luxusmaß an Glamour und Finesse in den Raum gezaubert. Für ein paar Augenblicke der Opulenz.

JAN KEDVES