Biopiraten klauen Stammeswissen

Pflanzen und das Wissen über ihren Nutzen sind eng mit der einheimischen Bevölkerung verbunden. Sie drohen zum Selbstbedienungsladen internationaler Unternehmen zu werden, ohne die Einheimischen an den Gewinnen zu beteiligen

Die Rechte an traditionellem Wissen wurden mit Füßen getreten

Die San im südlichen Afrika, uns seit der Kolonialzeit als Buschleute bekannt, leben am Rande der Gesellschaft: bitterarm, ohne Bildung, ohne Perspektive. Aber sie haben etwas, was die Manager von Unilever mächtig interessiert: Hoodia. Diese kaktusähnliche Pflanze nutzen die San seit Jahrhunderten. Der appetitzügelnde Wirkstoff der Hoodia-Pflanze ist für sie ein Retter in der Not, der den Hunger unterdrückt. Was liegt für Konzerne wie Unilever näher, als daraus ein Diätpräparat zu entwickeln, das dem Übergewicht in den Industrieländern zu Leibe rückt und fette Gewinne verspricht?

Erst fragen, dann nehmen

Die Frage ist: darf Unilever das? Die Antwort auf diese Frage wird derzeit im Rahmen der Verhandlungen der 1992 unterzeichneten Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) diskutiert. Die Konvention sagt zunächst: Konzerne wie Unilever dürfen genetische Ressourcen und traditionelles Wissen nutzen. Allerdings ist dies an Bedingungen geknüpft: Es muss eine vorherige informierte Zustimmung der Bereitsteller dieser Ressourcen vorliegen sowie eine Vereinbarung, wonach diese gerecht an den Gewinnen, die aus der Nutzung entstehen, beteiligt werden. Wer aber sind diese Bereitsteller? Zunächst einmal die Staaten, sagt die Konvention. Erst in zweiter Linie, unter dem Vorbehalt der nationalen Gesetzgebung, die indigenen Völker.

Diesen Vorbehalt haben die UN-Mitglieder im September 2007 im Grunde aufgegeben, als sie der – völkerrechtlich allerdings unverbindlichen – UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker zustimmten. Klar ist: genetische Ressourcen und traditionelles Wissen ohne vorherige informierte Zustimmung und gerechten Vorteilsausgleich zu nutzen, ist Biopiraterie. Die CBD hat die Opfer von Biopiraterie in der Praxis allerdings weitgehend allein gelassen. Deshalb fordern Entwicklungsländer und Nichtregierungsorganisationen ein völkerrechtlich verbindliches internationales Regime. Indigene Völker pochen auf ihre Rechte, die die Staaten mit der UN-Erklärung anerkannt haben.

Der Zankapfel Patentrecht

Zu den wichtigsten Konfliktpunkten gehört dabei das Patentrecht. Für ein Patent muss das zu schützende Produkt beziehungsweise Verfahren neu sein, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich nutzbar sein. Voraussetzung für ein Patent sind jedoch nicht die CBD-Regeln einer vorherigen informierten Zustimmung und einer gerechten Gewinnbeteiligung. Zudem drohen durch den TRIPS-Vertrag der Welthandelsorganisation WTO zu Rechten an geistigem Eigentum den Ländern, die sich nicht an die Regeln des Patentrechts halten, Handelssanktionen. Verstöße gegen die Konvention über die biologische Vielfalt sind bestenfalls unfein, konkrete Folgen sind nicht zu erwarten.

Und so geht die Biopiraterie fröhlich weiter: ein Wirkstoff aus der Paranuss für glänzendes Haar, Rinde und Blätter des Bocoa-Baumes für glatte Haut, südafrikanische Pelargonien gegen Husten, die Samen des indischen Neembaums zur Schädlingsbekämpfung – und eben Hoodia gegen Übergewicht.

Die Möglichkeiten der Regierungen des Südens und der indigenen Völker, sich gegen solche Biopiraterie zu wehren, sind praktisch gleich null. Die indigenen Völker müssen gleich mehrfach für ihre Rechte kämpfen: gegen die Konzerne und Regierungen des Nordens, aber auch gegen die Regierungen des Südens. Besonders bitter haben die San dies erfahren müssen, war es doch ein halbstaatliches südafrikanisches Forschungsinstitut, das den appetitzügelnden Wirkstoff der Hoodia-Pflanze patentierte. Nur durch Druck der internationalen Zivilgesellschaft wurden die San letztendlich an den Lizenzeinnahmen beteiligt, ein legales Mittel zur Durchsetzung ihrer Rechte hatten sie nicht. Und ihre Rechte an ihrem traditionellen Wissen waren ohnehin mit Füßen getreten.

Zertifikate als Lösung?

Deshalb wird sich ein internationales Regime vor allem daran messen lassen müssen, inwiefern es die indigenen Völker im Kampf um die Rechte an ihren genetischen Ressourcen und ihrem traditionellen Wissen unterstützt. Hilfreich könnte dabei ein Zertifikat sein, das die Nutzung genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens verbindlich an den Nachweis einer vorherigen informierten Zustimmung und einer Vereinbarung zum gerechten Vorteilsausgleich knüpfen würde. Ohne Zertifikat wären weder Forschung noch Vermarktung oder Patentierung erlaubt. Aber eine Zustimmung zur Nutzung müsste nicht automatisch die Zustimmung zur Patentierung nach sich ziehen, Patente auf Leben könnten auch explizit untersagt werden. Ein solches Zertifikat wäre ein erster Schritt zur Stärkung der Souveränität indigener Völker über ihre genetischen Ressourcen und ihr traditionelles Wissen und deshalb ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Biopiraterie. Denn dabei es geht nicht in erster Linie um Geld. Es geht vor allem um Rechte.

MICHAEL FREIN, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)