Die Erfassung des Scheiterns

Extrem, biografisch, intellektuell: Die Filmemacherin, Autorin und Verlegerin Chris Kraus gab an zwei Abenden bei pro qm Auskunft über ihr literarisches und filmisches Werk. Letzteres wird in der neu eröffneten Galerie Cinzia Friedlaender vorgestellt

VON STEPHANIE WURSTER

Wie sie die gegenwärtige Situation in den USA sehe, wird Chris Kraus bei ihrer Lesung im Buchladen pro qm gefragt. Kraus, die gerade erzählt hat, dass sie an einem neuen Roman arbeitet, der „The Summer of Hate“ heißt und in dem sie versucht, das Bush-Amerika „von innen zu verstehen“, antwortet mit einer wahren Geschichte. Zwei Katzen wurden von ihrem Besitzer in der Wohnung zurückgelassen und machten, hungrig und verängstigt, nach zwei Tagen eine Menge Lärm. Die Polizei fuhr mit vier Einsatzwagen vor, scherte sich nicht um die Erklärungen der Anwohner und stürmte das Apartment. „Wisst ihr, so sehe ich Amerika“, sagt Kraus, „eine Riesentruppe Polizisten, die mit entsicherten Maschinengewehren auf zwei kleine Katzen zielt.“ Hätte pro qm an diesem Abend den Anti-Bush-Roman schon dagehabt, dann wäre alle Exemplare sofort verkauft gewesen.

„Four more days of this to go“, noch vier Tage das Ganze durchstehen, schreibt die Autorin, die auch Filmmacherin ist, am 19. Januar 1996 in ihr Tagebuch; unter ihrer Bettdecke, denn es ist saumäßig kalt in dem Schöneberger Apartment. Es gibt wohl kaum einen Text über Berlin zur Berlinale-Zeit, der bitterer ist. Kraus, die in Neuseeland geboren und aufgewachsen ist, aber seit langem in den USA wohnt, beschreibt in ihrem zweiten Roman „Aliens & Anorexia“ das Ende ihrer Filmkarriere – das Scheitern ihres einzigen Spielfilms „Gravity & Grace“, dessen zwei angesetzte Vorführungen auf der Berlinale kaum jemand besucht, der das Interesse keines Verleihs weckt, der seiner Macherin keine einzige Einladung zu den sagenhaften Berlinale-Partys einbringt. Warum auch? Die Künstlerin selbst beschreibt ihn als „an amateur intellectual’s home video expanded to bulimic lenght“ – das Homevideo einer Laien-Intellektuellen, auf abnorme Länge aufgeblasen.

Das harte Urteil kann man in der Galerie Cinzia Friedlaender jetzt selbst überprüfen. Mit „Plastic is Leather, Fuck You: Film und Video 1983–1993“ wird nicht nur die Hinterhofgalerie von Friedlaender, die zuvor als Assistentin bei Daniel Buchholz in Köln gearbeitet hat, in der Potsdamer Straße eröffnet – als eine weitere Station der in den Westen verlagerten Kunstszene –, sondern auch Kraus als Filmemacherin das erste Mal überhaupt gewürdigt.

Unglaublich viel Energie muss Kraus in diese Kurzfilme gesteckt haben, nur um sie ein paar wenige Male außerhalb des Kunstkontextes aufzuführen. So speziell ihre Filme auch sind, in denen es um Antonin Artaud, um Dominas, Georges Bataille und fliegende Untertassen in Neuseeland geht, so schlecht auch die Kamera oder der Ton sind: Akribisch und mit Hingabe zusammengebastelt, sind sie wie getränkt von der intellektuellen Atmosphäre ihrer Zeit. Aber sie waren auch dafür zu eigen: Kraus erzählt, dass es in den 80ern im New Yorker Village zum einen den Punk-Kontext gab, in dem sie sich wohlfühlte, und zum andern eine hochintellektuelle Filmszene, die sie faszinierend fand. Zwischen diesen beiden Polen fanden ihre Filme, so war es ihr Eindruck, nie ihren Platz.

Ob sie einen Marktwert haben, wird sich zeigen. Jedenfalls wollten viele diese Eröffnung mit kommentierten Filmschnipseln erleben, darunter zahlreiche Exilamerikaner. „Es gibt eine ziemliche L.A.-Connection hier in Berlin“, sagt sie später, „möglich, dass Berlin jetzt so wird, wie L.A. früher war.“ Keiner wagt es, sich vor die vollen Sitzreihen auf den Boden zu setzen, wozu die Künstlerin energisch einlädt: „So machen wir das in L.A.!“ Kraus entschuldigt sich für die Sperrigkeit ihrer frühen Arbeiten, sie ist schwer zu verstehen, aber in ihrem Element, tanzt fast beim Erzählen. Sie glaube nicht an Talent, hat sie, die in ihren Büchern immer wieder von Scheitern und vorprogrammierter Erfolglosigkeit schreibt, vorher im Interview noch erzählt, „es gibt nur den Willen!“.

Da Chris Kraus vor allem als Schriftstellerin und Kunstkritikerin arbeitet, ist noch ein zweiter Abend mit Lesungen im Buchladen pro qm angesetzt. Das Nachwendeberlin von 1991 ist der Hauptschauplatz von Kraus’ jüngstem Roman „Torpor“. Man kann darin einem amerikanischen Ehepaar – er ein Literaturprofessor und Holocaust-Überlebender, sie eine eher erfolglose Schriftstellerin und Filmemacherin – auf ihrer nomadischen Reise durch ein Europa auf der Suche nach einer neuen Weltordnung folgen und einer zwölfjährigen Ehe beim Scheitern zuschauen.

Es ist der erste Roman von Kraus, der mit mehr Abstand zu ihrer Biografie geschrieben ist, und doch erkennt man in Sylvie unschwer die Autorin und in Jerome Sylvère Lotringer, ihren langjährigen Lebensgefährten. Lotringer und Kraus sind gemeinsam mit Hedi El Kholti Herausgeber des Verlags Semiotext(e), dem US-amerikanischen Pendant zu Merve, in dem Theorie von Baudrillard, Negri, Deleuze oder Irigaray erscheint und in dessen Reihe „Native Agents“ für einheimische Autoren auch Chris Kraus publiziert wird, die nomadische jüdische Neuseeländerin.

„Chris Kraus: Plastic is Leather, Fuck You: Film und Video 1983–1993“ in der Galerie Cinzia Friedländer, Potsdamer Str. 105, Öffnungszeiten Do.–Sa. 14–18 Uhr, noch bis 14. Juni