Vom Schloss ins Hochhaus

Der einst elitäre Baustoff Schiefer erfreut heute auch die Mittelschicht. Für Innen- wie Außenbereiche gilt: Das natürliche Material bringt die richtige Ästhetik mit und punktet ökologisch

Im Unterschied zu keramischen Fliesen unterliegt ein Gestein wie jedes Naturmaterial einem natürlichen Verschleiß

VON KLAUS LEONARD

Er ist uralt, er kommt von ganz unten – und dort war er extremem Druck ausgesetzt. Mehrere hundert Meter tief sind die Stollen, aus denen Schiefer geborgen wird. Seit rund 400 Millionen Jahren ruht das Material dort. Was damals feinstkörnige Tonschlammmassen waren, wurde in den Tiefen zu Gestein gepresst. Das Ergebnis dieses Prozesses erfreut sich schon seit Jahrhunderten großer Beliebtheit. Der Schiefer hat es nach ganz oben geschafft, auf die Dächer von Kirchen, Schlössern und Herrenhäusern. Aber auf Giebeln – ob historischen oder nostalgischen – lässt es sich heute nicht mehr ausruhen.

Der Absatz von Schiefer für das geneigte Dach ist nach Angaben des Schiefer-Fachverbands in Deutschland 2005 um 10 Prozent gesunken. Für das Jahr 2006 veranschlagt der eingetragene Verein ein Minus von weiteren 5 Prozent. Doch es gibt auch gute Nachrichten aus der Natursteinbranche: Der Markt ist im Großen und Ganzen stabil. Denn Denkmalschutz spielt mit einem Anteil von 15 Prozent eine kleine Rolle. Mit rund 25 Prozent fällt der Einsatz an Neubauten schon etwas schwerer ins Gewicht. Im Jahr 1975 war Schiefer in Europa auf knapp 8 Millionen Quadratmetern Dachfläche vertreten, 2005 auf über 28 Millionen. Seit 2000 verzeichnet der Fachverband zwar beim Neubau geringere Zuwächse, aber große Nachfrage besteht nach wie vor: In Deutschland wird Schiefer zu über 60 Prozent bei Renovierungen und Sanierungen eingesetzt. Diese Zahlen bestätigen, dass der Baustoff schon seit einer ganzen Weile anders in Erscheinung tritt, als ein Blick auf seine lange Bautradition vermuten lassen könnte. Schiefer ist nicht nur gefragtes Material für Historisches, sondern vor allem für modernes Bauen – innen wie außen.

„Modern“ heißt spätestens seit den 90er-Jahren auch „natürlich“. Zum einen ist optische Individualität gefragt: „Im Unterschied zu keramischen Fliesen unterliegt ein Gestein wie jedes Naturmaterial einem natürlichen Verschleiß. Dieser führt zu einer charakteristischen Alterung, die im Gegensatz zu künstlichen Werkstoffen eine bestimmte Gebrauchsästhetik bewirkt“, erläutert Jörn Wichert, Geologe und Verfasser des Portals www.schieferlexikon.de. Dass Schiefer wenig Pflege benötigt, macht ihn zudem alltagstauglich. „Die Oberfläche kann mit einem Pflegemittel für Naturstein imprägniert werden“, so Wichert. „Dadurch erhalten die Platten ihren kräftigen Farbton und sind gleichzeitig gegen Alkohol, Fruchtsäfte, Öl und ähnliche Verschmutzungen widerstandsfähig.“ Stark verschmutzte Stellen können mit feiner Stahlwolle abgerieben werden. Anschließend einfach neu versiegeln. Nach dem Verlegen sollte mit handelsüblichen Mitteln zuerst der Zementschleier entfernt werden. Danach können zur Pflege handelsübliche Steinpflegeöle verwandt werden, da der Stein pflanzliches Öl aufsaugt. Dieses Öl gibt dem Schiefer eine schöne dunkle Farbe und macht ihn pflegeleicht. Er muss nur noch abgewischt werden.

Schiefer kann darüber hinaus auch mit Nachhaltigkeit punkten. Er ist schadstofffrei, muss lediglich abgebaut und weder aufwendig aufbereitet noch behandelt werden. Während bei einer Vielzahl von Sanierungen die Entsorgung alter Baustoffe zum Problem wird, steigt das Interesse am Naturstein auch in dieser Hinsicht. Wenn das lange haltbare Material später doch einmal wieder herausgerissen werden soll, gibt’s auch in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten.

Neben der Ökologie überzeugt auch die Ökonomie. Schiefer rechnet sich in mehrerlei Hinsicht. „Er ist kein elitärer Baustoff mehr, der sich lediglich auf noblen historischen Gebäuden findet“, sagt Georg Guntermann, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Schiefer. Das ist auch neuen Techniken zu verdanken, mit denen Dächer und Fassaden mittlerweile eingedeckt werden.

Exklusive und dekorative Deckarten, wie sie im historisch-klassischen Stil angewandt werden, haben noch einen Anteil von rund 27 Prozent in Deutschland. Die sogenannte Altdeutsche Deckung etwa zählt nach wie vor zu den Spitzenleistungen des Dachdeckerhandwerks. Ihre Merkmale: unterschiedlich große Steine, die so verlegt werden, dass sich am First die kleinsten und an der Traufe – mit dem größten Wasseranfall – die größten Decksteine befinden. Dadurch wirkt das Dach höher. Die Altdeutsche Deckung eignet sich aufgrund ihrer Variabilität besonders für anspruchsvolle und komplizierte Dachgeometrien – und hat ihren Preis: Mit 85 Euro pro Quadratmeter muss gerechnet werden. Andere Deckarten sind deutlich günstiger. Ein Beispiel: Die Rechteck-Doppeldeckung. Sie entspricht mit ihren geraden, klaren Linien der Ästhetik moderner Bauwerke, gilt als handwerklich einfach und solide. An der Fassade ist sie ab etwa 45 Euro pro Quadratmeter im Angebot, auf dem Dach ab 60 Euro pro Quadratmeter.