: „Wir wissen nicht, wofür er steht“
Barack Obama inszenierte seine Vorwahlkampfveranstaltungen als eine Mischung aus Popkonzert und religiöser Andacht. Heute will sich der Demokrat zum Sieger über Hillary Clinton erklären – und gegen den Republikaner John McCain ums Weiße Haus kämpfen. Der Historiker Volker Depkat erklärt, was uns an dem Phänomen fasziniert – und wieso die US-Amerikaner eher Persönlichkeiten als Parteien wählen
VOLKER DEPKAT, 43, ist Professor für Amerikanistik an der Uni Regensburg. Im Herbst erscheint sein neues Buch, „Geschichte Nordamerikas. Eine Einführung“.
INTERVIEW ANKE LÜBBERT
taz: Wie kommt es, dass Deutsche im US-Vorwahlkampf so mitfiebern?
Volker Depkat: Was auch immer in den USA passiert, ist spätestens seit 1945 für uns in Europa und zumal in Deutschland von eminenter Bedeutung. Erst recht, wenn ein neuer Präsident gewählt wird. Das Problem ist jedoch, dass die Amerikaner den Kandidaten, den Europäer gerne hätten, vielfach nicht wählen. Der Atlantik trennt eben zwei sehr verschiedene politische Kulturen.
Und Obama?
Ich glaube, dass Europäer sich mit Barack Obama viel eher identifizieren können als mit einem evangelikalen Prediger wie George W. Bush oder mit einem John McCain. Barack Obama verkörpert in vieler Hinsicht das Amerika, das viele von uns sicher gerne hätten.
Was ist das für ein Amerika, das die Europäer gerne hätten?
Der amerikanische Traum ist zu einem Großteil immer auch ein europäischer Traum gewesen. An der Erfindung „Amerikas“ haben die Amerikaner genauso mitgestrickt wie die Europäer. Das fängt im 18. Jahrhundert an, als Amerika eine Projektionsfläche für aufklärerische Hoffnungen wurde. Europäer haben stets viel von ihren eigenen Träumen von Demokratie und Freiheit auf Amerika projiziert. Damit haben sie mitdefiniert, was Amerika ist. Sie sind aber auch immer sehr enttäuscht, wenn Amerika diesen Vorstellungen nicht ganz entspricht. Amerikakritik ist deshalb hierzulande oftmals enttäuschte Amerikaliebe. Da stellt sich schnell die Frage, ob ein Präsident wie George W. Bush eigentlich noch „unser Amerika“ repräsentiert. Obama symbolisiert das Amerika, das viele von uns hier gerne hätten: liberal, demokratisch, selbstkritisch sich seiner Verfehlungen bewusst und ehrlich bemüht um eine ehrliche Auseinandersetzung mit Sklaverei und Rassismus als Teil der amerikanischen Geschichte. Viele der inneren Widersprüche, die Amerika auszeichnen, lösen sich in der Person des Kandidaten Obama scheinbar auf.
Wie ist die Stellung des US-Präsidenten in der politischen Kultur?
Die das Präsidentenamt umgebende politische Kultur ist getragen von der Idee, dass der Präsident die Nation einen soll und die Bürger sich hinter ihrem Präsidenten scharen. Der Präsident ist fast so etwas wie ein republikanischer Monarch, der Vater des Vaterlandes, der über den Parteien schwebt. Er wird zwar als Kandidat einer Partei gewählt, aber sowie er im Amt ist, wird von ihm erwartet, dass er als Brückenbauer zwischen den Parteien agiert. Genau das hat George W. Bush nicht gemacht und hat damit gegen Grundprinzipien der amerikanischen politischen Kultur verstoßen. Er hat immer weiter polarisiert, „us against them“. In der aktuellen „Obamania“ spiegelt sich deshalb auch die Sehnsucht nach personifizierter Einheit. Der amerikanische Präsident hat, um mit den Worten meines Kollegen Hans Vorländer zu sprechen, eine Art „Hohepriester der Ideale von 1776“ zu sein, ein Wächter der Amerikanischen Revolution, die auf dem Glücksversprechen von „life, liberty and the pursuit of happiness“ beruht. Die erfolgreichen Präsidenten haben dieses Glücksversprechen erneuert, es an neue historische Konstellationen angepasst und damit Amerika selbst erneuert. Obama verspricht, genau das zu tun.
Anstatt über politische Programme zu reden, beschwört Obama in seinen Reden historische Ereignisse wie die Mondlandung oder die Abschaffung der Sklaverei. Warum redet er nicht stattdessen darüber, was er in den nächsten Jahren so vorhat?
Die US-Kultur verfügt über eine ganze Reihe von identitätsbildenden Meistererzählungen, die es vermögen, auch traumatische Erfahrungen als „sinnvoll“ in die Erfolgsgeschichte der US-Demokratie einzugliedern. So kann beispielsweise selbst ein Trauma wie der Bürgerkrieg, der von 1861 bis 1865 ausgefochten wurde und ein absolutes Blutbad war, als ein Test der Demokratiefähigkeit Amerikas interpretiert und mit positivem Sinn aufgeladen werden. Oder die Sklaverei, die war schlimm, sagen viele Amerikaner, aber „wir haben sie ja überwunden“. Dieser Geschichten bedient sich Obama. Das macht er so gut, dass er selbst den Weißen in Iowa das Gefühl von „belonging“, von Heimat und Orientierung, gibt. Deshalb stimmen sie für Obama, weil er ihnen den Glauben an sich selber zurückgibt.
Nun hat Obama mit der Äußerung, dass sich Amerikaner vor allem im Bibelgürtel der USA an Waffen, ihre Religion und die Abneigung gegen Andersdenkende klammern, weil sie so ihrem Frust über ihre wirtschaftlichen Nöte Ausdruck verleihen könnten, viele Wählerstimmen von weißen Arbeitern verloren. Er sei elitär und abgehoben, warf ihm Hillary Clinton vor.
Der Vorwurf an einen Präsidentschaftskandidaten, elitär und abgehoben zu sein, ist so alt wie die amerikanische Demokratie selbst. Er war stets vielfältig verwendbar und ist letztlich nur der Ausdruck einer antihierarchischen Grundhaltung in der US-Kultur. Was den Rassismus anbetrifft, so hat er in den USA stets jene Ventilfunktion gehabt, die Obama angesprochen hat; er sagt damit nichts Neues. Rassismus war stets vor allem in den Schichten der weißen Gesellschaft am unteren Rand des sozialen Spektrums besonders virulent. Rein materiell betrachtet waren diese Unterschichten gar nicht so weit von der großen Mehrheit der Afroamerikaner entfernt, sie konnten sich aber wenigstens über die rassistische Schiene noch von ihnen abgrenzen und sich als etwas „Besseres“ fühlen. Es gibt deshalb schon lange ein besonderes Konkurrenzverhältnis zwischen dem weißen „Prekariat“ und den Afroamerikanern. Gleichzeitig hat die Demokratische Partei es bis in die 70er-Jahre vermocht, die unteren Schichten über die Rassengrenzen hinweg zu integrieren. Vielleicht schafft sie es nach acht Jahren George W. Bush und fast 30 Jahren neoliberaler Wirtschaftspolitik ja noch einmal wieder.
Hat er nach diesen zermürbenden Vorwahlen überhaupt noch eine Chance, gegen John McCain zu gewinnen?
Entscheidend wird in diesem Zusammenhang sein, ob sich diejenigen, die bei den Vorwahlen für Hillary Clinton gestimmt haben, im November hinter einem Präsidentschaftskandidaten Obama scharen würden oder ob sie aus Frust über Verlauf und Ergebnis der Vorwahlen nicht doch John McCain ihre Stimme geben. Die erste Aufgabe, die ein Präsidentschaftskandidat Obama, der große Heiler, zu meistern hätte, wäre es, die Demokratische Partei zu heilen und nach innen zu einen, bevor er sich an die Heilung der Nation macht. Ob er noch Chancen hat? Präsidentschaftswahlkämpfe in den USA sind lang, und bis November kann noch viel passieren. Im Falle eines Wettbewerbs zwischen John McCain und Barack Obama könnten die Amerikaner allerdings zwischen zwei klar konturierten Optionen wählen: Kontinuität oder „change“, Alter oder Jugend. Viel wird von dem Faktor Persönlichkeit abhängen.
Bei uns wäre das undenkbar: Ein Bundeskanzleranwärter, der erst mal eine Autobiografie schreibt …
Ein deutscher Politiker mit Ambitionen schreibt ein politisches Grundsatzprogramm. Und in Amerika schreiben Politiker, die sich um ein öffentliches Amt bewerben, eine Autobiografie. Die Frage: „Will ich von dem da regiert werden?“, ist ganz zentral für viele Amerikaner. In Deutschland und in Europa wählt man in erster Linie eine Partei. In Amerika wechselt man sehr viel leichter die Partei, wenn die Kandidaten konsensfähig sind. Deshalb beglaubigt ein Präsidentschaftskandidat sein politisches Programm in erster Linie durch seine Biografie. Die muss dann aber auch stimmen. Die amerikanische Öffentlichkeit erwartet, dass die öffentlich zur Schau gestellte Moral ihrer Politiker auch ihrer privaten Moral entspricht.
Deshalb hat die Lewinsky-Affäre auch Bill Clinton damals so zugesetzt?
Das ist genau der Punkt. Damals brach das öffentliche Bild, das Clinton von sich entworfen hatte, völlig auseinander, weil sich ein Abgrund zwischen der öffentlich zur Schau gestellten und der privaten Moral schlagartig auftat. Auch ein Vorgang wie der Frauentausch von Sarkozy in Frankreich wäre im Weißen Haus völlig undenkbar.
Kann Obama schaffen, was er sich vorgenommen hat?
Es gibt gegenwärtig eine große Verunsicherung und Desorientierung in den USA. Irak ist ein Desaster, die Nation ist gespalten, Amerika ist in der Welt, wenn auch nicht isoliert, so doch von einigen traditionellen Bündnispartnern entfremdet. Vor allem die Entfremdung von Europa ist für viele Amerikaner ein Problem. Und da kommt jetzt einer und sagt: „Wir sind immer noch eine Nation, die auf freiheitliche Werte gegründet ist. Seht her, was möglich ist in diesem Land. Ich habe es auch geschafft.“ Das gibt vielen Amerikanern wieder Orientierung und Halt. Wenn es darum geht, das Land zu einen, ist Obama vielleicht gerade auch wegen seiner Biografie der richtige Mann. Was dann wirklich politisch daraus werden würde, wenn er denn wirklich gewählt wird, gerade auch außenpolitisch, da bin ich zurückhaltend. Wir wissen eben nicht wirklich, wofür Obama politisch eigentlich steht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen