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Exponierte Männlichkeit

Die Dichte dieses Mitteilungsdrangs bewegt: Im Rahmen der Berlin Biennale wird der Zeichner, Dichter und Schauspieler Masist Gül im Schinkelpavillon vorgestellt

Er selbst war groß und stark, sein Held aber klein und spirrelig: eine Rinnsteinratte, noch als Kind von einer Hexe in einem öffentlichen Klo gefunden, von seinen Feinden stets am Gestank identifiziert. Was den Autor Masist Gül aber mit seiner Comicfigur Kaldirim Fahri verband, war der Wums, der hinter ihren Schlägen saß. Blutig rot sind die Nasen in den sonst nur spärlich kolorierten Zeichnungen, wo Kaldirim Fahri zugetreten oder mit dem Kopf zugestoßen hat. Er prügelt sich mit der Polizei, mit der Hexe, die ihn quält, oder mit Hunden, denen er die Knochen stiehlt. Mit wem sich Masist Gül geprügelt hat, erfährt man aus der kleinen Ausstellung, die ihn im Schinkelpavillon im Rahmen der Berlin Biennale vorstellt, auch aus drei kleinen Zeichnungen, die „The problems of being good-looking“ überschrieben sind: mit den Männern, die seinen kraftmeiernden Gang breitbeinig karikierten und die Schönheit seiner massiven Muskellandschaft nicht anerkennen wollten.

Masist Gül, armenischer Abstammung, geboren 1947 in Istanbul und dort 2003 gestorben, spielte in über 300 obskuren Filmen mit, war Bodybuilder und zeichnete und dichtete. Seine Comicgeschichten, die erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden, entstanden in den Achtzigerjahren, fix und fertig in Hefte gezeichnet, wie man in einem Video sieht, in dem eine Hand die Seiten umblättert. Die Geschichten sind nur vermittelt Gegenstand der Ausstellung, die vielmehr den unterschiedlichen Inszenierungen von Masist Gül nachspürt. Die exponierte Männlichkeit und Stärke in vielen Fotografien, Selbstporträts und Collagen bebildert auf der einen Seite ein Klischee: Masist Gül mit Elvis-Tolle, mit Lederjacke, mit Schnauzbart und Muskelpaketen. Die andere, nicht so eindeutig benennbare Seite ist weniger in den Gegenständen als in den Formen verankert, der rätselhaften Kombination der Bilder, ihrer melancholischen Titel, ihrem Pathos und ihrer Patina. Eine Vielzahl von Zeichen, die ebenso subtil wie unaufhaltsam Fragezeichen über die Behauptungen der Stärke säen.

Vorgestellt wird Masist Gül von dem in Istanbul lebenden Künstler Banu Cennetoglu und Philippine Hoegen aus Holland, die in Istanbul zusammen den Kunstraum Bas gegründet haben und Güls von langen Gedichten begleitete Comics als Faksimile in der Kunstbuchreihe Bent verlegen. Er ist ihre Entdeckung, ein Beleg für kreative Ausdrucksvielfalt jenseits der Institutionen, für Kunstformen jenseits der anerkannten Gattungen. Seine Ausstellung im Rahmen der Berlin Biennale will also auch die Neugierde für die Vergangenheit wecken; dass da mehr war, als repräsentativ gehandelt wurde.

Doch trotz dieses Versprechens des Abseitigen ist die Ausstellung auch ein wenig enttäuschend. Was im Vorraum des gläsernen Pavillons in Vitrinen und an einer Wand ausgebreitet ist, bleibt kryptisch, ist selbst eine Inszenierung, die um die Person Gül ein Geheimnis webt. Der Pavillon ist leer geblieben bis auf einen kleinen Tisch, an dem die faksimilierten Hefte ausliegen. So richtig Stoff, sich in die dichten Bildwelten von Masist Gül hineinzuwühlen, erhält man nicht.

Seine Zeichnungen sind kleinteilig und verschachtelt. In einer, betitelt „Loney Man“, spiegelt sich in einem Auge eine ganze Welt. Im Weiß des Augapfels strahlt der Himmel über einem Meer, die Iris ist in zwölf Szenen aufgeteilt und bildet zugleich das Rad einer Wassermühle, in der Pupille sieht man ein Gesicht und zugleich das Raster einer Mauer. Die Dichte des Mitteilungsdrangs bewegt, das Schichten von Details und Bedeutungen. Und man würde sich davon gerne mehr zuschütten lassen.

Aber Comic im Kunstkontext wird eben selten einfach so zum Konsumieren freigegeben. Man vergäße ja sonst glatt die Geste, die dahintersteckt, das Einschleusen der Sub- in die Hochkultur. KATRIN BETTINA MÜLLER

Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 1, Di + Mi 10–19 Uhr, Do 10–22 Uhr, Fr 10–19 Uhr, Sa + So 11–19 Uhr. Bis 8. Juni.

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