„Der Kongo ist ein ganz normales Land“

Dominic Johnson hat das erste deutsche Buch über den Krieg im Kongo geschrieben

taz: Dominic Johnson, du bist seit 1990 Afrikaredakteur der taz. Warum interessiert dich gerade der Kongo?

Dominic Johnson: Für mich ist der Kongo der Schlüssel zum Verständnis Afrikas. Es gibt kaum ein Land auf der Welt, das so tief gesunken ist in letzter Zeit, und wenn dieses Land nicht funktioniert, wird Afrika insgesamt nicht funktionieren. Man spricht viel davon, dass Afrika wieder auf einem guten Weg ist, aber nach wie vor gibt es dieses riesige Land im Herzen des Kontinents, wo sich immer wieder Konflikte bündeln. Es gibt kein deutsches Buch, das den Kongo erklärt, und mir war es wichtig, eine Erklärung zu versuchen: Wie funktioniert dieses Land trotz allem, wie tickt es? Wie kann es dazu kommen, dass ein Land in ein solches Chaos gerät, und wie leben die Menschen trotz dieser Umstände?

Wie bist du dazu gekommen, dich mit dem Kongo zu beschäftigen?

Seit ich bei der taz arbeite, bin ich 23-mal im Kongo gewesen. Ich habe im Laufe der Jahre mitgekriegt, wie Leute ihr Leben organisieren, wie ein Umfeld funktioniert, das man auf den ersten Blick einfach als Chaos empfindet, in dem es aber tatsächlich Ordnung und Regeln gibt. Mir war wichtig zu zeigen, dass der Kongo ein ganz normales Land ist. Kongolesen sind Menschen wie alle anderen. Sie benehmen sich rational, und sie sind sehr viel erfahrener als wir mit schwierigen Situationen.

Warum gerade jetzt dieses Buch?

Vor zwei Jahren war der Kongo plötzlich Thema in Deutschland, als die Bundeswehr dort eingesetzt wurde. Da ist die deutsche Öffentlichkeit plötzlich aufgewacht: Was soll denn das, wieso deutsche Soldaten im Kongo? Ist das nicht viel zu gefährlich? Da wird man doch krank, da sind Kindersoldaten … Diese Diskussion fand ich ärgerlich, weil man merkte, dass sich kaum jemand hier ernsthaft mit dem Land beschäftigt hat. Auch in der Politik war die Unkenntnis extrem groß.

Und die Berichterstattung in der deutschen Medienlandschaft?

Sie hat wenig zur Erhellung des Konflikts beigetragen. Die meisten deutschen Medien schaffen es nicht, der deutschen Öffentlichkeit vernünftig zu erklären, was im Kongo los ist und wieso es wichtig für uns ist, sich damit zu beschäftigen. Es bleibt die Tendenz: So ein Land geht uns nichts an, so ein Land kann man gar nicht verstehen.

Woher kommt deiner Meinung nach das Unverständnis?

Viele Medien denken bei Situationen wie im Kongo: Immer ist erst einmal alles andere auf der Welt wichtiger. Höchstens in Ausnahmesituationen guckt man hin. Auch die taz ist vor so etwas nicht gefeit. Es ist ein journalistischer Reflex, die Sachen, die einem am weitesten weg erscheinen, am meisten vereinfachen zu wollen.

Das ist also deine Motivation, gegen dieses Unverständnis anzuschreiben?

Das ist auch eine Motivation, über Afrika überhaupt zu schreiben. Die taz hat ja eine Chance, was Afrika angeht: Markt- und Meinungsführer zu sein, mit einer guten Berichterstattung über diesen Kontinent, der in der internationalen Diskussion immer wichtiger wird. Vor zehn Jahren hat sich überhaupt niemand in der Politik oder in der Wirtschaft für Afrika interessiert. Inzwischen weiß man: Afrika ist Wachstumsregion, die Chinesen kommen, die Flüchtlingsprobleme dort gehen den Nachbarkontinent Europa an. Diese Erkenntnis ist inzwischen da. Es gibt daher mehr Interesse in Deutschland, aber noch nicht mehr Information. Die taz hat einen guten Ruf aufgebaut, über Afrika kompetent zu berichten. Sie hat sich damit Respekt verschafft, und den sollte sie sich wahren – ein Pfund, mit dem sie wuchern kann.

Gibt es jemanden, der die richtige Vision für Afrika hat?

Ich würde sagen: die Menschen selbst. Mich erstaunt es immer wieder, wie abgeklärt Leute, die im kompletten Chaos wohnen, ihr Leben organisieren, selbstverständlich und ohne Komplexe. Jeder Deutsche, der auch nur ein halbes Jahr unter solchen Umständen verbringen würde wie die meisten Leute im Kongo, müsste wahrscheinlich in eine Traumabehandlung. Man sollte damit natürlich nicht behaupten: Die Afrikaner, die schaffen das, die sind genügsam, die brauchen nichts. Aber sie haben einen sehr pragmatischen Ansatz, mit Dingen umzugehen, und das ist bewundernswert. Konzepte für Afrika muss man sich dort holen, wo die Menschen ihr Leben organisieren. Sie sind viel weiter als die meisten, die von hier nach Afrika kommen, „Wir helfen euch“ sagen und eigentlich nichts wissen.

INTERVIEW: MAREIKE BARMEYER

Am Montag, den 2. Juni um 19.30 Uhr präsentiert Dominic Johnson sein Buch „Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens“, erschienen beim Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt/Main. Im taz-Café, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin