Immer der Nase nach

Nicht nur sonntags! Eine preisgekrönte Kampagne versucht, das Radfahren zu einem täglichen Ereignis zu machen: mit Ausstellung, Katalog, Video und Broschüre

Es könnte alles so schön sein. In 80 Prozent aller hiesigen Haushalte steht wenigstens ein Fahrrad herum. Und wenn man damit fährt, stellt der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude klar, zieht man „keinen Lärmteppich hinter sich her, schlägt keine Türen zu, lässt keinen Motor aufjaulen, trägt weder zur Feinstaubbelastung bei noch zum Ausstoß von Kohlendioxid“.

Ude, ein echter Radelfan, singt dieses Loblied im Rahmen der „Radlust“-Kampagne, initiiert von der Universität Trier, Abteilung Raumentwicklung und Landesplanung. Ein studentisches Projektteam um Professor Heiner Monheim hat dafür die Konzeption entwickelt und auch gleich die Materialien erstellt: eine Ausstellung samt Katalog, ein Video und eine 84-seitige Broschüre. Alles sehr aufwendig, sehr edel und mit viel Gefühl. Mit ihrer „Radlust“ wollen die Protagonisten zeigen, dass Öffentlichkeitsarbeit, die sich „die hochprofessionelle, emotionale und erfolgreiche Autowerbung“ zum Vorbild nimmt, mehr Menschen denn je zum Um- und Aufsteigen bewegen könnte.

Tatsächlich leidet das ubiquitäre Fahrrad zu häufig unter Beschäftigungsmangel. Jeder hält es für ökologisch untadelig, aber anscheinend nur eine Minderheit auch für alltagstauglich. Lediglich 9 Prozent aller Wege werden in Deutschland radelnd zurückgelegt. Das Ziel des Projekts heißt Verdopplung. Heißt niederländische Verhältnisse. Doch dass in Deutschland die Radkultur „kaum entwickelt“ sei, wie die Trierer meinen, dürfte wenigstens an diesem Wochenende massenhaft bezweifelt werden. Die Fahrraddemonstration in der Hauptstadt ist zwar nur ein singuläres Ereignis, aber doch schon Tradition. In einer Kampagne, die Lust aufs Radfahren machen möchte, sollte sie lobende Erwähnung finden.

Dabei wird gerade das Stadtradeln von der „Radlust“ häufig beschworen – allerdings mit einer etwas anderen Sichtweise. Und manchmal in arg verklärender Werbesprache. Urbanität soll demnach so aussehen: „Das Kopfsteinpflaster und den eigenen Körper spüren. Den Blick schweifen lassen. Den Bäcker und die frisch geschnittene Hecke riechen.“ Wer jeden Morgen mit dem Rad ins Büro fährt, dürfte kaum Zeit und Lust haben, die verführerische Witterung eines Bäckers oder einer Bäckereifachverkäuferin aufzunehmen. Und selbst der Duft ihrer Waren, etwa der von Brötchen, ist in einer wirklichen Großstadt recht selten auszumachen, erst recht der eines Heckenröschens. Olfaktorisch wahrnehmbar sind eher die Ausdünstungen der Mülltonnen, die manchmal direkt auf dem Radweg stehen. Und was jeder erfahrene Alltagsradler auch noch kennt: plötzlich einsetzender Regen, der einem bösartig ins Gesicht klatscht. Sicher, auch das ließe sich positiv umdenken, etwa so: „Den Regen auf den Lippen schmecken. Innehalten und durchatmen. Das Tempo steigern. Sich am Fahrwind erfrischen.“

Das „Radlust“-Projekt ist mit zwei Preisen gewürdigt worden und wird durch öffentliche Gelder unterstützt. Aber vielleicht sollte es doch stärker in den Mittelpunkt rücken, was Teammitglied Raphael Thießen formuliert: „Wir nehmen die Herausforderung an und setzten uns bewusst auf unseren Hintern und radeln los.“ HELMUT DACHALE

„Radlust“ ist im Juni in Düren, Hanau, Bremen, Duisburg, Lemgo und Bonn zu sehen: www.radlust.info