Selbstbewusstsein wie ein Airbag

Das Fahrsicherheitstraining einer Hamburger Agentur richtet sich ausschließlich an Frauen – und das, obwohl Frauen statistisch gesehen viel sicherer fahren als Männer. Sinnvoll kann so ein Nachmittag mit Fahrtrainer Edwin dennoch sein: Gerade für Frauen, die mit Klischees keine Probleme haben

VON JESSICA RICCÒ

Problemlos fahren sie die kleinen Wege des Verkehrsübungsplatzes entlang. Sie parken ein, ohne dass es dazu übertriebenen Manövrierens bedürfte. Keine von ihnen trägt dabei Pfennigabsätze oder überprüft gar beim Fahren im Rückspiegel die Zähne auf Lippenstiftspuren. Die sechs Frauen, die hier und heute ein Fahrtsicherheitstraining ausdrücklich nur für Frauen absolvieren möchten, entsprechen kein Stück dem Klischee der unsicheren, langsamen Frau am Steuer – auf den ersten Blick. Trotzdem: Sie haben sich ganz bewusst entschieden, einen reinen Frauenkurs zu buchen.

Das Fahrsicherheitstraining der Agentur „Hallo Frau“ soll ein Umfeld schaffen, in dem eben keine der Frauen Gefahr läuft, bei Patzern gleich ausgelacht zu werden. „Ich fahre nur ganz selten“, erklärt Teilnehmerin Christma scheu. „Meine Mutter leiht mir dann ihr Auto, das ist irgendein Citroën, Baujahr uralt.“ Sie findet es gut, dass ihre Fahrkünste heute nur von weiblichen Augen begutachtet werden. „Das muss ja noch nicht mal böse gemeint sein“, sagt sie. „Aber Männer machen dann irgendwelche blöden Sprüche.“ Christma ist 57 Jahre alt.

Frauen weniger gefährlich

Einen Mann gibt es heute aber doch: Kursleiter Edwin stellt sich als ehemaliger Sozialpädagoge vor. Seit acht Jahren bringt er bei, wie man sicher fährt. Von den etwa 250 Kursen pro Jahr richten sich zwei nur an Frauen. Ironisch an dieser Sonderbehandlung ist dabei, dass Frauen viel seltener eine Gefahr im Straßenverkehr darstellen als Männer: Gerade in der Risikogruppe der jungen Fahrer zwischen 18 und 23 sterben mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen im Straßenverkehr. Auch in den übrigen Altersklassen zahlt sich offenbar aus, dass Frauen seltener Geschwindigkeitsbegrenzungen überschreiten, sich zum Ziel setzen, jeden anderen zu überholen, oder betrunken fahren: Laut Zahlen des ADAC waren Frauen im Jahr 2006 für 32 Prozent der insgesamt auf deutschen Straßen erbrachten „PKW-Fahrleistung“ verantwortlich. Ihr Anteil an den Verkehrsunfällen betrug dagegen nur ein Viertel.

„Jetzt schreibt ihr mal bitte alle auf eure Schildchen, wie ihr angesprochen werden wollt“, bittet Edwin. „Mäuschen! Hihi“, kichert eine junge Frau. Vielleicht wird frau ja überhaupt erst zum kleinen Mädchen, das am Steuer nicht ernst genommen wird, indem sie sich dazu machen lässt? „Mäuschen“ stellt sich der Runde dann aber doch mit ihrem richtigen Namen vor. „Hallo, ich bin verlobt und heiße Maren und ich bin 33.“

Janine, 23, aus Oldenburg, hat den Kurs von ihrer Mutter geschenkt bekommen, zum Geburtstag. Sie fährt einen Ford Focus, ihren zweiten, nachdem ihr erster im März von einem LKW auf der Autobahn zum Totalschaden zerquetscht wurde. Ihr ist dabei nichts passiert und mit einer bemerkenswerten Coolness sieht sie auch dem heutigen Kurs entgegen. „Ich fahre ja eigentlich gut“, sagt Janine. Und dann gibt es noch Manuela aus Hamburg. „Hi, ich bin die Manu und ich bin 49. Ich fahre einen Mazda 323F und eine Marauder Suzuki 800 – seit 20 Jahren unfallfrei. Außerdem hab ich zwei Sportbootführerscheine.“

Wenig später dürfen die Damen zeigen, was sie können. Das heißt für den Anfang: Vollbremsen. „Stellt euch mal vor, ihr seid in der Stadt unterwegs und dürft 50 fahren“, erklärt Edwin das Setting. „Mal ehrlich: Wie viel fahrt ihr da?“ „Na, 50“, ruft Maren-Mäuschen wie aus der Pistole geschossen. „Nee, schon mal 70 oder 80, je nachdem ob ich mich da auskenne“, sagt Manu. – „Darfst du gar nicht.“ – „Mach’ ich aber.“ Edwin schaltet sich ein. „Also, auch wenn Maren 50 fahren mag: Die meisten fahren schneller. Ihr probiert das jetzt mal aus.“

Eine Sache der Einstellung

Während die Frauen im Kreis fahren und bremsen und fahren und bremsen, erzählt Edwin von seinen Erfahrungen. „Es ist ein riesiger Unterschied, ob der Kurs gemischt ist oder nicht.“ Auch beim Sicherheitstraining tendieren Männer nach seiner Beobachtung dazu, einen Tick schneller zu fahren als erlaubt. Daran, dass manche Frauen sich in gemischten Kursen unwohl fühlen, sind jedoch keineswegs ihre Fahrkünste schuld, sagt er – sondern ihre Einstellung dazu: „Es ist ja ihr gutes Recht, vorsichtig zu fahren. Wenn dann einzelne Männer dazu ihre Sprüche ziehen, ist das diskriminierend.“ Sich deshalb „abzugrenzen“, das scheint ihm aber „auch nicht ganz richtig – es gibt ja auch keine Kurse nur für Schwarze oder Rollstuhlfahrer“.

Als nächstes ist die Eisfläche dran: glatter Straßenbelag, der durch drei Sprinkleranlagen noch glatter wird. Edwin möchte, dass erst mal nur mit Tempo 30 gefahren wird, erst später auch schneller. Maren beteuert jetzt, dass sie in 30er-Zonen nie schneller fahre, aber heute, da müsse sie eben den Punk in sich rauslassen – und auch mal 40 fahren. In einem gemischten Kurs, mit lauter Mario Barths als Teilnehmer, hätte sie es wohl nicht leicht.

Selbstsicher mit 60 Sachen

Erstaunlich ist, was das Training bei manchen Teilnehmerinnen bewirkt: Besonders Christmas Selbstvertrauen plustert sich auf wie ein Airbag. Gleich nach der ersten Testrunde brettert sie mit den am lautesten quietschenden Reifen an Edwin vorbei, dreht sich mit 60 Sachen auf der simulierten Eisfläche ein paar Mal – zu Beginn des Kurses hätte nun wohl jeder ein paar vergossene Tränen oder mindestens etwas Reue erwartet. Jetzt aber kurbelt sie das Fenster runter und steckt stolz lächelnd den Kopf raus: „War das okay so? Kann ich das noch mal machen?“ Faszinierend: Gerade mal ein paar Stunden ungestört in Muttis Auto, und sie entwickelt eine Sicherheit wie Knight Rider.

Es mag nicht ideal sein, Frauen von Machos abzuschotten, denen sie im Straßenverkehr wohl oder übel begegnen – schließlich können sich gerade diese durch einen Kurs wie diesen in ihren Vorurteilen bestätigt fühlen. Nur: Solange eine andere Realität anstandslos vorgelebt wird, Nerv-Gülcan tatsächlich Sendungen wie „Die dümmsten Frauen der Welt“ moderieren darf und, eben, Mario Barth erklärt, dass Männer unveränderlich so und Frauen so sind, sind Maren-Mäuschen und Christma vielleicht besser unter ihresgleichen aufgehoben. Nicht zur Verbesserung ihrer Fahrtauglichkeit – sondern als erster Schritt zu mehr Selbstsicherheit.

Auch andere Seminare übrigens bietet Hallo Frau an: Handwerker- und Computerkurse, oder auch Seminare zum Thema Altersvorsorge. Schließlich fahren Frauen nicht nur sicherer als Männer, sie werden auch älter.