Tauschen verboten

Rund 40 Millionen Tütchen Fußballspieler-Porträts hat die Firma Panini vor der EM in Umlauf gebracht. Tausende Kinder tauschen und handeln. An einer Hamburger Schule ist das verboten

VON SEBASTIAN BRONST

Im Schatten des Baums sitzen rund 15 Jungen auf dem Boden des Schulhofs der Katholischen Schule in Hamburg-Altona, inmitten ihrer tobenden Mitschüler. Auf dem Boden zwischen ihnen liegt ein Stapel kleiner Karten mit den Bildern bekannter Fußball-Nationalspieler. Einer der Jungen haut mit der flachen Hand auf den Stapel, einige Karten fliegen hoch, eine dreht sich in der Luft. Ein kleiner Junge reißt die Arme hoch, greift sich die auf der Rückseite liegende Karte des italienischen Mittelfeldstars Andrea Pirlo. „Die brauche ich“, ruft er seinem Kumpel zu. Bärbel Dörnte blickt kurz hinüber. „Die Kinder haben ihre eigenen Regeln entwickelt und das Tauschen mit einem Spiel kombiniert“, sagt die Schulleiterin, an deren Schule das Sammeln von Panini-Bildern wie an vielen anderen vor der Europameisterschaft zur Mode geworden ist. „Wer draufhaut, darf die umgedrehten Karten behalten.“

Tauschverbot in der Pause

An der Schule von Joachim Ninow gibt es solche Regeln nicht, auch Fußballbildchen sucht man dort vergeblich. Der Pädagoge sitzt in seinem Büro und sucht nach den Worten, um diesen Umstand zu erklären. Rund 40 Millionen Tütchen mit den begehrten Aufklebern hat die Firma Panini vor der EM in Deutschland und Österreich in Umlauf gebracht, Tausende Kinder und Erwachsene tauschen und handeln. An der Grundschule in Hamburg-Mümmelmannsberg aber geht der Trend vorbei: Tauschen dort verboten. Entsprechend groß ist das Medieninteresse an der vermeintlichen Spielverderber-Schule. Ein Kamerateam von RTL war schon da, das ZDF hat sich angekündigt. Ninow nutzt die Chance für Erklärungen. „Wir sind nicht die Spaßbremsen von Mümmelmannsberg“, sagt der 48-Jährige. „Es geht ja nicht darum, den Kindern etwas zu verbieten. Wir wollen ihnen eine gute Schule bieten.“

Gute Schule – dazu gehört in Mümmelmannsberg privates Spielzeug vom Pausenhof fernzuhalten. 2003 fügten Eltern und Lehrer eine entsprechende Passage in die Hausordnung ein. Gemünzt war das auf elektronische Geräte, aber auch die derzeit so beliebten Tausch- und Sammelkarten fallen unter den Bann. Und Ninow ist sicher, dass dieser Schritt das Klima unter den rund 500 Schülern seiner Schule entscheidend verbessert hat. „Vor 15 Jahren hatten wir hier ein Gewaltproblem“, sagt er. Heute nicht mehr. Die Kinder seien ruhiger, konzentrierter, im Unterricht mehr bei der Sache.

Auch Bärbel Dörnte möchte eine gute Schule, auch sie ist nicht gerade begeistert von der neuen Tausch- und Sammelleidenschaft ihrer Schüler, auch sie wird in diesem Tagen oft gefragt, wie sie es mit den Panini-Bildchen hält. „Es nähert sich einem Bereich, wo ich langsam kritisch werde“, sagt die 55-Jährige. Noch aber sieht sie keinen Grund zum Handeln. Die Erfahrung habe sie gelehrt, dass Tauschaktionen ebenso schnell gehen wie sie gekommen sind, sagt sie. „Nach der EM ist das ganz schnell wieder vorbei.“ Bis dahin beschränkt sie sich aufs Beobachten,. „Eine gewisse Freiheit gehört dazu. Wo es keinen Stress gibt, muss ich nicht unbedingt eingreifen.“

Es kam zu Erpressungen

Dabei weiß man auch in Altona um die Gefahr, die von einer aus dem Ruder laufenden Pausenbeschäftigung für das Schulklima ausgehen kann. Vor ein paar Jahren waren dort Sammelkarten mit merkwürdigen Fantasiewesen in Mode, sogenannte Yo-Gi-Ohs. Mit denen „hat es richtig Stress gegeben“, sagt Dörnte. Sogar Fälle von Erpressungen waren darunter.

Dirketor Ninow aus Mümmemannsberg hat erlebt, welche Konflikte das Tauschen an einer Schule in einem Problemstadtteil auslösen kann. Wenn die Kinder bei Projekttagen in den Klassen ihre Sammelkarten mitbringen, „dann hat kein Mensch was dagegen“, sagt er. In den Pausen aber ist das eine andere Sache. Viele Schüler hier haben nicht viel Taschengeld. Wenn innerhalb von Minuten Spielkarten im Wert eines Monatstaschengelds verzockt werden, „dann geht es schon mal verschärft zur Sache“, sagt Ninow.

Pause ist wichtig

Entscheidend an dem Verbot ist für die Lehrer in Mümmelmannsberg aber noch etwas anderes: „Kinder brauchen eine Pause, die auch eine Pause ist“, sagt der Schulleiter Ninow. Bei einem Gang über den Schulhof zeigt er anschließend, was er meint: Kinder auf roten Tretrollern, Gokarts und Fahrrädern düsen über den Asphalt, die Schule stellt ihnen die Geräte zur Verfügung, überall wird geklettert, geturnt, gespielt. Früher sei das anders gewesen, erzählt er. Erst seit dem Spielzeugverbot bewegten sich die Kinder in den Pausen mehr, und die gesamte Lernatmosphäre habe sich deutlich entspannt. „Schule ist heute anstrengend und wird immer anstrengender“, sagt Ninow. Selbst die Kleinsten müssten oft fünf Stunden stillsitzen, das lasse sich ohne körperlichen Ausgleich kaum aushalten. Würde Tauschen von Fußballbildern morgen wieder erlaubt sein, sagt Ninow, dann würde zunächst wohl gar nichts passieren: „Aber wenn sie nicht darauf achten, dass Kinder eine gut organisierte Pause haben, dann haben sie irgendwann ein Problem.“