Globalisierung überall

Der Fluch des Kapitals: Tatjana Gürbaca hat an der Deutschen Oper den „Fliegenden Holländer“ von Richard Wagner neu inszeniert. Die tollkühnen Seefahrer, von denen ein Mädchen träumen kann, sind Aufsichtsräte geworden

Jacques Lacombe dirigiert die Ouvertüre so leicht und elegant, wie es nach seiner wundervollen Interpretation von Debussys „Pelleas et Melisande“ mit demselben Orchester vor drei Jahren zu erwarten war. Schön, dass er an die Deutsche Oper zurückkehrt – und was wäre, wenn Richard Wagner Symphonien komponiert hätte? Dann klängen sie vielleicht so geistreich unterhaltsam, also ganz und gar undeutsch, wie Lacombe dieses lange Orchesterstück erklingen lässt.

Aber Wagner, der Revoluzzer des deutschen Vormärz, zog es vor, der Nachwelt selbsterfundene germanische Mythen zu hinterlassen, die stets mit erheblichem ideologischen Einsatz zelebriert werden müssen. Seit Patrice Chéreaus Bayreuther Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ von 1979 gehen sie auch bei der zuvor eher ablehnend eingestellten politischen Linken glatt als antikapitalistische Manifeste durch, und Tatjana Gürbaca, 1973 in Berlin geboren, 2001 von der Zeitschrift Opernwelt zur „Nachwuchsregisseurin des Jahres“ ausgerufen, ist fest davon überzeugt, das in Paris entstandene, 1843 in Dresden uraufgeführte Frühwerk „Der fliegende Holländer“ sei nichts Geringeres als eine Abhandlung über die schlimmen Folgen der Globalisierung.

Deswegen tritt mit den letzten Takten der Ouvertüre ein Mädchen vor die schwarze Wand, die bisher die Bühne verschloss. Sie öffnet ein kleines Fensterchen, hinter dem wild gestikulierende Männer im Anzug zu erkennen sind. Dann fährt die Wand hoch und bestätigt die böse Vorahnung, dass wir es mit Brokern zu tun haben. Obwohl sie alle vor Computerbildschirmen sitzen, geben sie ihre Gebote immer noch mit der Hand ab. In der Mitte des Raumes steht eine Säule, in der hinter Glas eingelassen eine Weltkugel anzeigt, dass – was denn nun genau? Dass die Welt ihnen gehört? Alsbald tritt Daland auf, bei Wagner ein Seefahrer, den ein Sturm an einen einsamen Strand verschlug. Hier sieht er aus wie Joseph Ackermann, der Chef der Deutschen Bank. Reinhard Hagen singt ihn schön und immer noch geschmeidig begleitet von Jacques Lacombe, der beharrlich die französischen Wurzeln dieses Stücks Musik des 19. Jahrhunderts freilegt.

Was ist aktuell daran? Die einfache Geschichte eines Mädchens, die diese ebenso einfache Musik erzählt, des Mädchens Senta, das davon träumt, den unglücklichsten Menschen zu retten, von dem es gehört hat: den fliegenden Holländer, den einst allzu tollkühnen Seemann, den der Teufel dazu verdammt hat, so lange über die Weltmeere zu segeln, bis er eine Frau findet, die ihm treu ergeben ist. Ein ewiges Motiv jugendlicher Sehnsucht nach Größe und Bedeutung also, Teenager mögen heute davon träumen, Robbie Williams von seinen Depressionen zu heilen, aber Tatjana Gürbaca weiß alles besser. Ihre Senta ist ebenso ein glanz- und trostloses Opfer dieses Börsenkapitalismus wie der Holländer und Daland, der Vater, der sie ihm gegen Geld verkauft – überflüssigerweise, weil sie ihn doch ohnehin liebt, was Wagner zu einer komischen Variante der klassischen Erkennungsszene des Hauptpaares inspiriert hat.

Nichts davon ist zu sehen, düster und ohne jede Poesie paradieren Chor und Solisten seltsam gesichtslos an der Rampe auf und ab. Lauter Aufsichtsräte mit hässlich, aber teuer angezogenen Frauen. Ricarda Merbeth singt die Rolle der Senta mit großer, leider aber auch arg tremolierender Stimme, nur weiß sie nicht, wer dieser Mensch auf der Bühne ist. Auch die anderen wissen es nicht, die wie Marionetten auftreten müssen, weil sich die Regisseurin schlicht nicht dafür interessiert, wie lebendige Menschen fühlen und handeln. Manche haben irre Träume, andere sind geldgierig, sogar verflucht. Verglichen damit ist das angebliche Verhängnis der kapitalistischen Wirtschaft so langweilig wie dieses Theater, das endlos auf der Stelle tritt. Tatjana Gürbacas ideologisches Schema erklärt nichts.

„Die Frist ist um“ sind seine ersten Worte, die Johan Reuter mit prachtvollem Bariton singt, und man möchte sie wörtlich nehmen: Die Zeit der linken Trivialisierung ist endgültig vorbei. Leider dauert sie in der Deutschen Oper danach noch über zwei Stunden ohne Pause. Man kann dabei Jacques Lacombe zuhören und sich vorstellen, wie Wagners Symphonien geklungen hätten. NIKLAUS HABLÜTZEL

Nächste Aufführungen: 12., 17., 21. Juni