Zwang zu Frieden und Sicherheit

Wolfgang Schäuble irrt. Das zeigt Quentin Skinners faszinierende Deutung von Thomas Hobbes’ politischer Theorie

Thomas Hobbes, der englische Staatsphilosoph des 17. Jahrhunderts, gehört zu den Lieblingsautoren unseres Bundesinnenministers. Wann immer es Wolfgang Schäuble darum geht, den Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit Hilfe neuer, die Grundrechte einschränkender Gesetze zu führen, hat er ein Zitat von Hobbes zur Hand. Freiheit, so Schäuble, kann ohne Sicherheit der Bürger nicht existieren. Und für dieses Grundbedürfnis nach Sicherheit beruft er sich auf Thomas Hobbes, der in der Furcht das grundlegende Motiv jeder Staatsgründung sah.

Aber kann die Staatstheorie von Hobbes überhaupt mit dem demokratischen Rechtsstaat kompatibel gemacht werden, wie Schäuble es will? Genereller gefragt: Welcher Freiheitsbegriff lässt sich aus den vier staatstheoretischen Werken von Hobbes destillieren, also aus „De cive“ und den „Elements of Law“, dem „Leviathan“ und dem „Behemoth“? Dieser Fragestellung widmete sich der englische Historiker Quentin Skinner, der 2005 unter dem Titel „Freiheit und Pflicht. Thomas Hobbes’ politische Theorie“ in Frankfurt am Main die Adorno-Vorlesungen hielt. Skinners Arbeit ist jetzt als Buch erschienen und bietet eine faszinierende Lektüre.

An Analysen des Denkens von Hobbes herrscht bei uns eigentlich kein Mangel, man denke nur an Herfried Münklers Einführung, zuletzt 2001 erschienen. Was bislang fehlte, war eine systematische Antwort auf die Frage, mit welchen seiner Zeitgenossen sich Thomas Hobbes eigentlich auseinandersetzte. Wer waren seine Verbündeten, wer seine Gegner, und in welcher Beziehung standen die Schriften von Hobbes zu den turbulenten Ereignissen der britischen Geschichte – angefangen von seiner Unterstützung der absolutistischen Ambitionen Karls I. über sein französisches Exil nach der Niederlage der Stuart-Monarchie über seine Rückkehr in das England des Commonwealth samt seiner positiven Haltung zu dem Lord-Protector Oliver Cromwell bis hin zum hohen Greisenalter unter der Stuart-Restauration?

Das große Verdienst der Arbeit Skinners besteht darin, ebendiese Auseinandersetzungen in ihrem politischen Gewicht nachvollziehbar zu machen. Denn dass Hobbes eine zweitausendjährige Tradition des politischen Denkens auf den Kopf stellte, lässt sich nicht als Resultat einer innerphilosophischen Auseinandersetzung deuten. Hobbes verwarf jede Fundierung des politischen Handelns im vorgeblichen Wertehorizont des Naturrechts, wie er auch für die Bestimmung des Menschen als Zoon politicon nur Hohn und Spott übrig hatte. Hobbes’ Freiheitsbegriff, so sein Interpret Quentin Skinner, verengt sich im Lauf der Theoriebildung, bis er im Leviathan ausschließlich als Freiheit der Bewegung verstanden wird.

Die Idee der „Freiheit des Willens“ ist für Thomas Hobbes ein Abstraktum, ein Hirngespinst. Indem wir handeln, üben wir Freiheit aus und gehen ihrer gleichzeitig verlustig. Auch wer angesichts des tobenden Meeres all seine Güter über Bord wirft, um sein Boot und sich zu retten, oder wer sich in Todesangst bedingungslos einem Retter unterwirft, handelt frei. Unfrei ist nur, wer gegen seinen Willen im Gefängnis oder in der Sklaverei gehalten wird.

Nach Skinner kämpft Hobbes an zwei Fronten: der der überkommenen christlich-naturrechtlichen Position und der republikanischen, wie sie in den Schriften der Antiroyalisten und Anhänger des Commonwealth zum Ausdruck kommt. Besonders mit Commonwealth-Anhängern befindet sich Hobbes in einem ständigen Handgemenge, das Quentin Skinner minutiös nachzeichnet. Die Republikaner beharren darauf, dass Freiheit nur in Staaten möglich ist, in denen die Bürger selbst Garanten dieser Freiheit sind. Auch wenn die Bewegungsfreiheit des Einzelnen scheinbar gesichert ist, kann doch nach Auffassung der Republikaner in autoritären Regimen die Freiheit jederzeit bedroht oder liquidiert werden. Es genügt oft schon die Drohung oder der Konformismus eingeschüchterter Bürger, um diesen Effekt zu erzielen. Für Hobbes ein absurdes Argument. Üben nicht auch die Republiken jenen staatlichen Zwang aus, den Hobbes als unabdingbar für Frieden und Sicherheit ansieht?

Skinner selbst ist kein großer Freund von historischen Parteinahmen. Aber auch in seiner Hobbes-Vorlesung wird klar, dass er die englischen Republikaner in eine Traditionslinie einordnet, die ihren Ursprung in den italienischen Republiken des Spätmittelalters, vor allem der Republik von Siena, hat. Für Skinner bietet die Bürgertugend, die republikanische Freiheit vor dem Liberalismus, einen starken Legitimationshintergrund für die moderne Civil Society. Das eigentliche Kontrastprogramm zu Hobbes und Schäuble.

CHRISTIAN SEMLER

Quentin Skinner: „Freiheit und Pflicht. Thomas Hobbes’ politische Theorie. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2005“. Aus dem Englischen von Karin Wördemann, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 141 Seiten, 15,80 Euro