Das Wasser emanzipieren

Die ifa-Galerie zeigt die Ausstellung „Wasserlust und Wassers Not“: Wasser als Rohstoff, als Politikum, als Lebenselixier und vieles mehr – sieben Künstler präsentieren Arbeiten, die nicht zuletzt die sinnliche Erfahrbarkeit des Elements berühren

VON CORD RIECHELMANN

Die Kunst bestehe darin, zu lernen, von klarem Wasser betrunken zu werden, hat der französische Philosoph Gilles Deleuze in den Jahren nach der Enttäuschung der Hoffnungen des Pariser Mai 1968 gesagt. Aber selbst dazu müsse man erst einmal klares Wasser haben, hat ein Kritiker Deleuze hinterhergerufen und damit auf der Betonung der ungleichen Verteilung des Elementes in der Welt, die man den blauen Planeten nennt, bestanden. Zwischen diesen beiden Polen bewegen sich auch die Arbeiten der Ausstellung „Wasserlust und Wassers Not“ in der ifa-Galerie in der Linienstraße.

Wasser, jenes Element, aus dem alles Leben kommt, ist schon lange kein Gemeingut mehr und so ungleich verteilt wie alle anderen Gebrauchswerte auf der Erde auch. Von Sizilien über das Nigerdelta bis in die Vororte von Rio de Janeiro ist es zur Glückssache geworden, ob das Wasser – das man, in Plastikflaschen abgefüllt, teuer einkauft – den Durst löscht oder einen dazu noch krank macht. Der nigerianische Künstler Bright Uguchukwu Eke hat diese Tatsache in seiner Installation „Shields“ (Schilde, Schirme) im besten Sinn veranschaulicht. Aus den Plastikbeuteln, in denen in Nigeria und den angrenzenden Ländern das „pure water“, das reine Wasser, verkauft wird, hat er Regenmäntel und -schirme zusammengenäht, die jetzt in der Galerie an der Decke hängen.

Und es ist merkwürdig, dass man beim Anblick der Plastiksachen bei diesem Wetter draußen vor der Tür weder ins Schwitzen gerät noch weglaufen will, ins nächste Freibad zum Beispiel. So abgedroschen es klingen mag: Bright Ekes Arbeit hat eine Evidenz, die durch das durchsichtige Plastik einleuchtet. Der Regen im Nigerdelta, eines der Ölförderzentren Nigerias, ist nicht klar und erfrischend, sondern von schwarzen Gaswolken dunkel und ätzend geworden. Sauer, und zwar so sauer, dass der Regen auf die Dauer auch die Zinkdächer der Häuser zu löchrigen Gebilden werden lässt.

Bright Ekes Regenmäntel können da kurz schützen, bleiben aber auch nicht verschont. Ein so ätzender Regen verdirbt auch das Grundwasser und damit auch das pure Wasser, das in den Plastikbeuteln verkauft wird. Ein übler Kreislauf, in den in Nigeria die National Food and Drugs Administration and Control einzugreifen versucht, indem sie Mindeststandards für das verkaufte Wasser formuliert, die sicherstellen, dass das Wasser für den Verbraucher ungefährlich ist. Man hat, mit diesen Informationen versehen, keine Zweifel, dass Bright Eke weiß, wovon er redet, und den Regen wie das Wasser in Nigeria kennt.

Das gilt auch für die Fotos des in Mosambik geborenen Künstlers Sérgio Santimano. Santimano liefert Momentaufnahmen von Menschen in einer Region Mosambiks. Man sieht Kinder, die am Strand toben, Fischer, die aufs Meer hinausrudern, und Frauen, die aus einem Überschwemmungsgebiet Wasser schöpfen. Mosambik hat mal zu viel und mal zu wenig Wasser. Auf lange Dürreperioden folgen schwere Regenschauer, nach denen die Erde anders riecht und die Luft schwanger geworden zu sein scheint. In Santimanos Fotos wird dem Wasser seine unpersönliche, nicht menschliche Natur zurückgegeben.

Was das heißt, leuchtet ein, wenn man Santimanos Fotos mit der Videoinstallation des Schweizer Künstlerduos Lutz & Guggisberg konfrontiert. In den Videos der beiden fließen die Flüsse aufwärts. Währenddessen sitzt eine Art Techniker-Wissenschaftler vor einer großen Aufzeichnungsapparatur, zieht Zettel heraus und scheint mit den Daten nicht richtig klarzukommen beziehungsweise nicht einverstanden zu sein. Irgendwie, sagen die Videos von Lutz & Guggisberg, klappt das nicht richtig mit der Ableitung der Technik aus der Natur. Eventuell, vielleicht ist ja die Natur der Technik das genaue Gegenteil der Natur und nicht deren Fortsetzung oder Umleitung zum Wohle des Menschen. Wie gesagt, vielleicht ist das so, sicher ist es nicht. Und hier könnte man jetzt den Ausstellungsbesuch abbrechen und sagen, weiß ich doch alles, muss mir doch kein Künstler mehr zeigen.

Aber das passiert nicht, und das hängt damit zusammen, dass die Mehrzahl der Arbeiten das Gewöhnliche des sinnlichen Umgangs mit dem Wasser zwar spiegelt, aber nicht in den Konsens abrutscht, der aus dem Thema schon den Modus der Interpretation ableitet: Die Spannungen zwischen Technik und Natur, zwischen Trockenheit und Regenzeit, klarem und vergifteten Wasser bleiben unaufgelöst. Selbst die melancholischen Fotos des tunesischen Fotografen Mohamed Romène aus einem Hammam, einem öffentlichen Bad, bewahren etwas vom Unpersönlichen, eben Nichtmenschlichen des Wassers. Es ist zwar ein Element, aus dem wir kommen und aus dem wir zu achtzig oder mehr Prozent auch bestehen. Dennoch ist es als Element etwas anderes, als das, was wir sinnlich erfahren können. Mit Deleuze kann man sagen: Viele der Arbeiten haben verstanden, dass man das Wasser in seiner Unpersönlichkeit vom Markt emanzipieren muss. Nur dann gibt es auch genügend klares Wasser für alle.

Linienstraße 139/140. Di bis So 14–20 Uhr, Sa 12–20 Uhr. Bis 20. Juli 2008