spielplätze (11): im „lombardo“ in mitte
: Bei Melonenbrause und neutralem Publikum

Alle gucken wieder Fußball. Die taz auch. Bis zum Ende der EM berichten wir täglich live von den Berliner Spielplätzen. Heute: Schweden – Russland im „Lombardo“

Beim letzten Deutschlandspiel waren eine Stunde vor Anpfiff fast alle Plätze belegt. Drinnen und draußen stapelten sich die Leute; man sagt, selbst die Aufpasser der BVG und die Kripo hätten die gute Lage des Ladens genutzt, um’s Berufliche mit dem Privaten zu verbinden und zur besten Sendezeit am Platz zu sein. Es gab sogar einen selbst bestellten Parasiten. Der Parasit war ein Imbissstand, der Spießchen feilbot, auch der Flaschenbierverkauf wurde draußen geregelt, und die Leute auf dem Außengastronomiemobiliar starrten in die Schaufenster des Ladens. In die Schaufenster waren nämlich zwei Bildschirme geklebt, auf der einen mit, auf der anderen Seite ohne Wasserzeichen. Wasserzeichen? Na ja, das Logo des Ladens mit dem unaussprechlichen Namen (daher hier nur kurz „Lombardo“ genannt), das fest in die Scheibe graviert ist.

Heute hingegen, Schweden gegen Russland, ist es ruhig und lauschig. Der Imbissstand steht wieder auf irgendeinem Rummel, dafür gibt es feiste Leberkäswegglas und süffiges Tegernseer Bier. Geraucht werden darf auch, jedenfalls noch für ein paar Tage, weswegen der Laden zwischen dem gut betuchten, rauchfreien „103“ und der redseligen und kuschelterroristischen „Weinerei“ auch gut und gern von guten und gernen Leuten frequentiert wird.

Fans sind keine anwesend, nur eine Frau mit fettem Lippenstift fällt wegen ihrer gelben Turnschuhe auf, und ein Touristentrio, das sich eine Pizzaschachtel aus dem „Focaccio“ mitgebracht hat, könnte aus Schweden kommen, jedenfalls deutet eine umgehängte gelb-blaue Fahne schwer darauf hin. Aber das Trio ist das Spiel über sehr still. Ansonsten sind sich die neutralen Zuschauer hier schnell einig: Die Russen spielen besser, also sollen sie auch gewinnen.

Während die Russen kommen, läutet es im Rücken. Die Zionskirche sieht hübsch aus, heute kommt aber kein frisches Ehepaar aus den Türen gehüpft (neulich hat hier das Supertopcheckerbunny geheiratet), es läutet grundlos. Vor der Kirche rattert die Linie 12 vorbei, alle zehn Minuten, aber man gewöhnt sich daran.

Über ausbleibende Laufkundschaft kann sich das Lombardo nicht beklagen, frei laufende Kunden gibt es hier auf dem Weg vom Weinbergspark zur Castingallee genügend. Es ist ein fantastischer Abend, die Russen gehen verdient mit 1:0 in Führung, ich schlürfe Melonenbrause. Im Süden der Stadt, im „Ä“ in Neukölln, gibt es hervorragende Marillenlimonade, „Marillenkracherl“ aus dem ausgeschiedenen Österreich, hier im Lombardo gibt es Melonenbrause aus Hamburg. Ich komme öfters.

Pause. Der Chef war beim Frisör, das kommt vor, unter dem Schildchen „Wunschmusik“ steht die erste Platte von The Wedding Present mit George Best vorne drauf. Drinnen im Laden wird auf die nackte Wand projiziert, was immer aussieht, als habe es Flecken auf der Beamerlinse. Sind aber nur Wandunebenheiten. Mitunter findet sich auch Prominenz ein, neulich war der unausweichliche Richard Oberholzer, korrigiere, Robert Stadlober hier und hatte natürlich einen dummen Hut auf, auch Jessica Schwarz lässt sich gelegentlich blicken, aber Prominenz stört ja meistens nur. Das Geschäft läuft auch sonst gut, nur tagsüber fristet der Laden ein wenig ein Schattendasein, vielleicht liegt es daran, dass es nur eine Tageszeitung gibt und nicht mal die richtige. Dafür gibt es amerikanischen Käsekuchen und gute Plätze unter Bäumen.

Das Spiel lässt viel Raum für solcherlei Betrachtungen. Die Russen schießen das 2:0 und versäumen es anschließend, die zahlreichen Chancen in ein zweistelliges Ergebnis umzumünzen. Juhu, Sportreporterdeutsch! Endlich mal! Dann kommen Jessica und der Schlusspfiff; Erstere berichtet vom Spagat zwischen Kunstbetrieb und Mutterschaft, Zweiter kommt gerade rechtzeitig, ich hatte nämlich auf 2:0 getippt.

Dann kommt noch Anna und erzählt vom Arbeiten im Nachtleben, und dann schraube ich meine Lichtanlagen ans Rad und fahre heim. Der Abend ist super gelaufen. Das andere Spiel hatte ich auch richtig. RENÉ HAMANN

„Ick koof mir Dave Lombardo wenn ick reich bin“, Café/Bar, alle Spiele auf Leinwand und zwei Schaufensterprojektionen, Zionskirchstr. 34, Mitte. Eintritt frei