Der Tod steht ihr gut

Mumien stehen im Mittelpunkt einer Ausstellung, die am Sonntag in Schleswig eröffnet wurde. 65 mumifizierte Tierkadaver und menschliche Leichen zeigt die Schau „Der Traum vom ewigen Leben“ und ist damit eine der größten ihrer Art

Natürliche Mumie und Ergebnis ausgefeilter Handwerkskunst: Die Ausstellung will die ganze Bandbreite zeigen

VON ESTHER GEISSLINGER

Das Frettchen machte einen tödlichen Fehler: Es rannte in den Keller eines Hauses auf Teneriffa – vielleicht jagte es einer Maus nach – nur hinaus kam es nicht wieder. Doch sein Tod im knochentrocknen Gemäuer machte das Tierchen zum Gewinner einer makabren Lotterie: Es zählt zu dem Bruchteil von Wesen, die noch Jahre, Jahrzehnte, gar Jahrtausende nach ihrem Tod einen Körper besitzen. Das Frettchen verwandelte sich im Lauf der Zeit in eine Mumie – und ist heute Teil einer Ausstellung: „Der Traum vom ewigen Leben“ heißt die Schau, die am Sonntag im Schleswiger Schloss Gottorf eröffnet wurde.

65 mumifizierte Tierkadaver und menschliche Leichen zeigt die Ausstellung und ist damit die fast weltgrößte ihrer Art: Im vergangenen Jahr waren die Mumien aus aller Welt bereits in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim zu besichtigen, dort auf noch etwas größerer Fläche und mit wenigen Stücken mehr. Als zweite und letzte Station bot sich das Schleswiger Landesmuseum, seit 50 Jahren Heimstatt mehrerer Moorleichen, an: „Es ist für uns eine Ehre, an einem so berühmten Mumienstandort zu sein“, sagte Wilfried Rosendahl, Kurator der Mannheimer Ausstellung, der seine vertrockneten Schützlinge in den Norden begleitet hat.

Er und sein Schleswiger Kollege Ralf Bleile wollen mit der Schau die ganze Bandbreite des Phänomens „Mumie“ zeigen: die auf natürlichen Weg erhaltenen Tiere oder Menschen, die sich durch ihren Tod in Eis, Moor, Wüste oder Salz aus dem Kreis des Werdens und Vergehens stahlen, und diejenigen, denen Kunst und Handwerk zum ewigen Leben verhalf. Wobei das mit dem Leben so eine Sache ist: Mumien sehen in erster Linie tot aus. Und selten glücklich. Das verkrümmte Frettchen, die in Schwerin gefundene Katze mit dem offenen Maul, die Maori-Köpfe mit ihren wie anklagend geöffneten Augen, die hockenden Kinder aus Peru, sie wirken nicht, als ob der Tod so ein Spaß wäre. Und der alte Ägypter, der bei einer Mumienschau nicht fehlen darf, sieht auch nicht aus, als wolle er sich gleich aus dem bunt bemalten Sarg erheben und sich auf die Suche nach jungen Frauen machen, wie es seine Film-Kollegen so gern tun.

Also: Darf man das? „Mumien-Pornografie“, wetterte der Chef des Ägyptischen Museums Berlin, Dietrich Wildung, selbst Herr über 90 Verstorbene aus Pharaonengräbern. Er wolle die ledernen Leichen am liebsten in die alte Heimat zurückbringen und dort „würdevoll bestatten“, erzählte er dem Deutschlandradio. Tote auszustellen, sei „obszön“.

Die Verantwortlichen sehen das anders: „Das ist keine Leichenschau“, sagte der Direktor des Archäologischen Landesmuseums, Claus von Carnap-Bornheim. Die Ausstellung folge den internationalen Museumsregeln für den Umgang mit Toten, ganz anders als etwa die „Körperwelten“ des Plastinators Gunther von Hagens. Eben das Museum sei der rechte Ort für Mumien, fügte Rosendahl hinzu: „Wir müssen uns dem Thema Tod stellen – andere Medien haben es längst getan.“ Und ja: Eingebettet zwischen Schrifttafeln und Computeranimationen wirken die teuren Toten sicher würdevoller als jene, die von Fernseh-Pathologen aller Kanäle zur besten Abendbrotzeit ausgeschlachtet werden. Archäologie nutze immer den Körper, erklärte Ralf Bleile: Auf Friedhöfen finden die Forscher Antworten auf die Fragen nach dem Leben der Menschen – und ihren Geschichten. Berühmt ist das „Mädchen“ von Windeby, die vielleicht bekannteste Moorleiche der Welt und seit Jahrzehnten im festen Ausstellungsbestand des Schlosses Gottorf: Als der zarte Körper gefunden wurde, galt er als weiblich, und aus Körperhaltung, Kleidung und Haaren spannen die euphorisierten Forscher eine Sex-and-Crime-Story zurecht. Eine Ehebrecherin sei die Kleine gewesen, ihr Buhler wurde ein paar Meter weiter im Moor entdeckt. Neuere Forschungen zeigten: Alles Quatsch. Das Mädchen ist ein Junge, der Liebhaber sank Jahrhunderte später ins feuchte Grab.

Persönliche Details sind nur über wenige der gezeigten Mumien bekannt, aber die Forschung arbeitet daran. Begleitend zur Ausstellung hat sich ein internationales Team in Mannheim zusammengefunden. So konnte eine Mumie als asiatisch ermittelt werden, die zuvor als Südamerikaner galt. Denn Mumien, auch dies eine Botschaft der Ausstellung, gibt es weltweit: „Und die ältesten stammen nicht etwa aus Ägypten, sondern aus Südamerika“, erklärte Rosendahl.

Die europäische Geschichte kennt die Reliquien von Heiligen, die heute noch in vielen Kirchen zu sehen sind. Ein Sonderphänomen ist die „Selbstmumifizierung“ japanischer Mönche, die ihren Körper zu Lebzeiten mit harzigem Tee malträtierten, um Wasser auszuschwitzen. Sie starben an Austrocknung und wurden später in Tempeln ausgestellt. Der letzte Fall dieser Art ereignete sich 1903.

Für Museumsdirektor von Carnap-Bornheim ist die Schau jedenfalls ein Glücksfall: „Wir sind in die Premiumklasse aufgestiegen.“ Rund 60.000 Menschen sollen seiner Schätzung nach die Mumien besuchen, der Eintrittspreis beträgt sechs Euro. Dafür haben das Land und das Museum rund eine halbe Million Euro in Umbauten und eine Klimaanlage investiert. Gut angelegtes Geld, findet von Carnap-Bornheim, denn damit könnte Schleswig in Zukunft noch weitere edle Sonderschauen ergattern: „Um etwa Werke von Picasso zu bekommen, müssen Sie bestimmte Anforderungen erfüllen. Wir spielen jetzt in dieser Liga mit.“

„Der Traum vom ewigen Leben“, Schloss Gottorf. Geöffnet bis 14. September, täglich von 10 bis 19 Uhr