Neuanfang mit Schrammen

Die angeschlagene Niedersachsen-SPD versucht, sich auf ihrem Landesparteitag zu berappeln. Trotz einer bejubelten Rede erhält Garrelt Duin bei seiner Wahl zum Parteichef kein berauschendes Ergebnis. Nur noch 75,9 Prozent stimmten für ihn

In den vergangenen zehn Jahren hat die Niedersachsen-SPD ein Drittel ihrer Mitglieder verloren, jetzt sind es nur noch gut 70.000. Zum Vergleich: die Landes-CDU hat derzeit rund 75.000 Mitglieder. Neben fehlenden Beiträgen klagen die Sozialdemokraten auch über weniger Spenden. Die Landes-SPD hat auch Geldprobleme, weil die Kostenerstattung nach der Landtagswahl im Januar deutlich geringer ausfiel als bislang gewohnt: Im Vergleich zur Wahl 2003 hat die SPD 300.000, im Vergleich zu 1998 hat die Partei rund eine Million Stimmen eingebüßt. KSC

VON KAI SCHÖNEBERG

„Idioten!“ und: „Dümmer geht’s nimmer“, schäumt Sigmar Gabriel und stürmt von seinem Platz auf dem Podium Richtung Delegierte. Der Bundesumweltminister und Chef des SPD-Bezirks Braunschweig ist stinksauer, als an diesem Samstag das Ergebnis für den SPD-Landesvorsitzenden bekannt wird. Dabei hatte Gabriel wohl selbst dazu beigetragen, dass Garrelt Duin beim Parteitag der Niedersachsen-SPD in Hannover ein wenig berauschendes Ergebnis einfuhr. Nur noch 75,9 Prozent der 199 Delegierten wollten Duin am Samstag für zwei weitere Jahre als Parteichef sehen. 2005 waren es noch 77,5 Prozent gewesen.

40 Gegenstimmen, acht Enthaltungen in der Vorsitzenden-Frage. Es sollten nicht die einzigen Schrammen für Ober-Sozis an diesem Tag sein. Auch bei der Wahl der Beisitzer wurden reihenweise „Hoffnungsträger“ abgestraft, vor allem aus Hannover: der Regionspräsident Hauke Jagau und der Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch fielen im ersten Urnengang durch. So quittierte die Basis das Dauer-Gerumpel der Genossen in den letzten Monaten. Von einem „ehrlichen Ergebnis“ für sich sprach der Ostfriese Duin. Und: „Mein Kampf für eine geschlossene niedersächsische SPD fängt ab heute wieder an.“

Es wäre bitter nötig: Dauer-Feuer aus Berlin, dazu das Debakel der Landtagswahl im Januar. Mit 30,3 Prozent hatte die SPD so schlecht abgeschnitten wie nie zuvor. Wegen der fälligen Konsequenzen liegt der Landesverband seither im Clinch mit sich selbst. „Es ist zurzeit nicht so, dass wir jeden Abend ins Bett gehen mit dem Gefühl, Gott sei Dank bin ich in der SPD“, sagte Duin zu den Delegierten und forderte „Mut, Teamgeist und Geschlossenheit“. Die SPD müsse wieder zur „Schutzmacht der kleinen Leute“ werden und die Mitte besetzen. Zudem griff Duin Quertreiber wie Gabriel indirekt an: „Wenn man nichts anderes im Sinn hat, als öffentlich Öl ins Feuer zu gießen, dann dient man nicht der Sache.“

Die Genossen klatschten, drei Minuten lang. Duin wurde nach der „geilen Rede“ (SPD-Generalsekretär Hubertus Heil) gefeiert. Aber Heil konnte nicht verhindern, dass Duin mit seiner Neustrukturierung der Nieder-sachsen-SPD an Gabriel scheiterte. Auch dass der Kanzlerkandidat in spe Frank-Walter Steinmeier aus Berlin anreiste, half nicht. Selbst aus Duins Bezirk Weser-Ems hatten sich Genossen gegen eine „Gleichschaltung“ der Landes-SPD gewandt. Diese wäre wohl nur im Bezirk Hannover begrüßt worden.

Eine von Duin eingesetzte Zukunftskommission hatte vorgeschlagen, die Landes-SPD in acht bis zehn Regionen zu gliedern, statt in vier, im Dauerclinch liegende Bezirke. Doch die Bezirkschefs einigten sich am Freitag auf Vertagung. Nun sollen externe Prüfer bis zum Jahresende befinden, ob sich landsmannschaftliche Regionen oder Bezirke für die klamme Landespartei besser rechnen. Wahrscheinlich wird sogar erst endgültig nach der Bundestagswahl im Herbst 2009 entschieden, wenn klarer ist, wie es mit Gabriel in Berlin weitergeht. Immerhin beschloss der Parteitag eine kleine Stärkung der derzeit mit 2,5 Stellen arbeitenden SPD-Zentrale: Die Nachwuchsförderung und ein Teil der fast 70 SPD-Mitarbeiter, die über das Land verteilt sind, sollen künftig von Hannover aus gesteuert werden. Öffentlich Kritik übten auf dem Parteitag nur wenige: Die Partei entscheide über die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2013, „nicht irgendwelche Interviews“, sagte Stephan Weil, der Oberbürgermeister von Hannover.

Ihm wäre am Morgen fast die Kaffeetasse aus der Hand gefallen, als er in der Zeitung ein Duin-Zitat lesen musste, nach dem die Rolle des Spitzenkandidaten für die nächste Landtagswahl und der Vorsitz der Landes-SPD künftig nicht mehr „auf zwei Köpfe verteilt bleiben“ sollten. Duin hat sich noch nicht geoutet, ob er antreten will. Und natürlich betonte Weil, er selbst wolle keinesfalls in die Staatskanzlei.

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