Berliner verbiegen sich bewusst

Jeder zehnte Hauptstädter ist mittlerweile Yogi – nicht nur weil es Spaß macht. Viele Berliner wählen ganz bewusst Kurse für Hormon-, Kinder- oder Ayurveda-Yoga: um auf Tabletten verzichten zu können und ihre Persönlichkeit zu stärken

Vom 4. bis 6. Juli 2008 findet das 4. Berliner Yoga-Festival statt, auf dem über 40 Yoga-Experten aus aller Welt ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben. Besucher erwarten Schnupperstunden, Workshops, Vorträge, ein Kinderprogramm, ein Mantra-Konzert und ein großes Blumen-Mandala. Einige Höhepunkte:

4. Juni 2008, 15 bis 17 Uhr:Chakren-Meditation „Von Herz zu Herz“, Workshop mit Swami Mangalananda 5. Juni 2008, 12 bis 14 Uhr: Typgerechtes Yoga, Vortrag von Dr. David Frawley 6. Juni 2008, 12.30 bis 14 Uhr: Yoga für ADSH-Kinder, Vortrag von Dr. Nicole Goldstein

Ort: Shanti-Park in der Straße Alt-Moabit 141 (Nähe Hautbahnhof) Eintritt: Festivalkarten: 39 € ab 18 Jahren, 25 € ab 12 Jahren; Tageskarten: 18 € ab 18 Jahren, 15 € ab 12 Jahren, 3 € unter 12 Jahren Programm: www.yogafestival.de

VON JANET WEISHART

Renate* setzt sich auf die Matte. Sie zückt ein Taschentuch und wischt ihre Stirn ab. Der Schweiß läuft ihr nicht etwa, weil Yogalehrerin Urvasi Leone sie so triezt. „Die Wechseljahre“, kommentiert die 55-Jährige. Um endlich „die Migräne loszuwerden und keine Hormone mehr schlucken zu müssen“, besucht die Verkäuferin nun den Kurs „Hormon-Yoga“ der TriYoga-Akademie in Berlin-Friedenau. Die Östrogenwerte – Östrogen ist das weibliche Sexualhormon – sollen hier mit gezielten Yogaübungen erhöht werden, um Wechseljahresbeschwerden, verfrühte Menopausen, Menstruationsbeschwerden oder Unfruchtbarkeit wegzuturnen.

Dass Ausdauersport die Hormondrüsen stimuliert, ist bekannt. Ähnliches bewirken die Entspannungsübungen des Yoga. Leone praktiziert die von der brasilianischen Ärztin Dinah Rodrigues entwickelte Hormon-Yoga-Therapie. Rodrigues erfand Yoga nicht neu, sondern kombinierte traditionelles Hatha-Yoga mit Atemtechniken des klassischen und des Kundalini-Yoga. Die regen die Hormonrezeptoren der Eierstöcke, Schilddrüse und Hirnanhangsdrüse an. Eine Studie der Pennsylvania State University ergab: In 4 Monaten erhöhte sich die Östrogenmenge um 254 Prozent, klimakterische Symptome verschwanden.

Der Erfolg von Hormon-Yoga spricht sich herum, Kurse sind ausgebucht. „Immer mehr Frauen wollen ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen und auf Tabletten verzichten“, sagt Leone. Der Wochenendkurs ist ein Anfang – dann sollen die Frauen zu Hause weiterüben. Vor Kursbeginn erfasst ein Fragebogen die Krankengeschichte – denn Hormon-Yoga ist etwa für Krebspatientinnen nicht geeignet.

Doch ohne Einsatz geht nichts: „Nur wer täglich 30 Minuten übt, spürt Erfolge“, sagt Yoga-Lehrerin Marina Pfautsch aus dem Grunewald. Nach drei Wochen spürten Frauen dann die erste „Hormondusche“. Ein Grund, warum sogar Frauenärzte Patientinnen therapiebegleitend zum Yoga schicken.

Auch Kinderärzte sind inzwischen von der Heilwirkung des Yoga überzeugt. Nicole Goldstein, Sonderpädagogin, betreut in Yogakursen viele Jungen und Mädchen mit hyperaktiven Störungen. „Jene Kinder haben eine Neurotransmitterstörung, können sich schlecht selbst regulieren, ticken aus … Bestimmte Hatha-Yoga-Übungen helfen ihnen“, erklärt sie. Goldstein integriert Yoga-Übungen in Geschichten. Das Ergebnis: Die extreme Impulsivität der Kinder schwächt sich ab. Das bewies auch ihre Studie an der Universität Heidelberg. Die Gabe von Tabletten lässt sich so mitunter umgehen. Kinderyogalehrerin Carmen Ramirez Schmidt aus Charlottenburg berichtet: „Kinder sind bald konzentrierter oder schlafen besser ein.“

„Es ist der Wechsel von Ruhe und Bewegung – aber vor allem das Miteinander, das Kinder begeistert“, berichtet Yogalehrerin Miriam Kretzschmar vom Verein Leben in Bewegung in Charlottenburg. „Ich unterrichte auch Kinder in Frauenhäusern. Wenn die die Übungen allein schaffen, sind sie danach selbstbewusster.“ Solch positive „Nebenwirkungen“ des Kinderyoga untersucht jetzt eine Pilotstudie der Universität Bremen. Dieter Brinkmann vom Institut für Freizeitwissenschaft und Kulturarbeit der Hochschule Bremen sagt: „Es gibt eine Tendenz, dass Yoga Persönlichkeitsaspekte wie Ausgeglichenheit, Selbstvertrauen, Einfühlungsvermögen verstärkt.“ Wichtig ist: Je jünger die Kleinen, desto spielerischer muss Yoga sein. Dies soll nicht bedeuten, Zweijährige im Rüpelalter oder Windelträger zum Yoga zu schicken. „Kinderkurse außerhalb der gewohnten sozialen Umgebung haben erst ab sechs Jahren Sinn“, betont Yogalehrerin Schmidt.

Yoga kann bei zu früher oder falscher Anwendung auch schaden. Im Internetforum von yoga-vidya schreibt Günther: „Leider bekomme ich bei der Rumpfbeuge Schmerzen im Knie.“ Stefan Datt, Yogalehrer im Wedding, kennt solche Schilderungen. „Viele Menschen praktizieren Yoga und denken: ‚Wunderbar, das macht mich fit!‘ Dabei schätzen sie ihre Konstitution manchmal falsch ein“, sagt der erfahrene Physiotherapeut. Das typgerechte Yoga – auch Ayurveda-Yoga genannt – kann Yogaschäden abwenden und Fehler vermeiden. Es hilft, die richtigen Übungen ganz individuell zu finden – indem es Yogaübungen mit der Ayurveda-Typologie von Menschen verquickt.

Alexandra Ahammer, die Ayurveda-Yoga in der Potsdamer „fabrik“ lehrt, geht dabei so vor: Nach einem Anamnesegespräch ordnet sie Kursteilnehmer einem der drei ayurvedischen Körpertypen zu: entweder dem Kapha-Typ – dem Gemütlich-Rundlichen, dem Pitta-Typ – dem Feurigen, oder dem Vata-Typ – dem Flatterhaft-Luftigen. Dem Temperament entsprechend empfiehlt sie dann systematische Yogaübungen. So bewahrte Ahammer bereits Manager, die oft Pitta-Typen sind und gern über ihre Grenzen sporteln, vor Schmerzen nach Yogastunden.

*Name ist der Redaktion bekannt