spanien gegen deutschland in kreuzberg
: Entscheidung in der Halbzeit

Es gibt Buletten. Die spanische Tapas-Bar El-Chico bietet ein spezielles Menu zum Finale. Draußen vor dem Familienlokal in der Kreuzberger Baerwaldstraße brutzeln auf einem Holzkohlegrill Würstchen und Frikadellen. Die gibts mit Kühne-Senf – extra für die deutschen Fans. Die meisten Kunden aber nehmen Paella, das iberische Nationalgericht. Die Mehrheit im Restaurant fiebert hier für Spanien.

Nur ein paar deutsche Stammgäste an der Bar trinken Becks. Es sind Männer zwischen 40 und 60, ihre fußballrunden Bäuche verraten ihre Liebe zum Gerstensaft. Dahinter drängen sich spanische Fans, rot-gelbe-rote Streifen im Gesicht, auf den Trikots und auf den Fahnen – und San-Miguel-Flaschen in der Hand. Über der Bar hängt ein Fernseher. Per Beamer wird das Spiel zudem auf ein faltiges Laken im Lokal projiziert. Wer draußen sitzen muss, schaut durch die geöffneten Fenster.

In der 33. Minute schießt Torres das Tor, die Fans rufen „Olé, Olé, Olé“. Und Barmanager Mustafa stimmt einen Fangesang an: „Ohne Abwehr seid ihr nicht viel wert.“ Werner, ein treuer Deutschland-Fan, gönnt sich einen kräftigen Schluck Becks.

Die Entscheidung fällt in der Halbszeitpause. Schwarz-Rot-Gold verliert an Boden. Sarah, die halbspanische Tochter des Hauses, streift ihr Deutschland-Armband ab. „Das brauch ich ja jetzt nicht mehr“, gibt sich die 22-Jährige im España-Trickot zuversichtlich. „Spanien muss gewinnen“, sagt sie. „Sonst kann ich mit meinem Vater heute nicht mehr reden.“

Ihr Vater Mustafa ackert noch hinter der Bar, ihre deutsche Mutter Marion balanciert Gläser und Häppchen durch das Gedränge. Weichkäse und rote Wurst auf Baguette, aufgespießt mit einer Spanienfahne. Auch die deutschen Gäste langen zu.

In der 90. Minute prostet Mustafa dem Schiri zu. Schweiß steht auf seiner Stirn. Vom Ausschank? Vom Endspiel? Seine Mutter, die 66-jährige Lokalinhaberin Isabele, wedelt aufgeregt mit zwei Spießfähnchen. Normalerweise steht sie in der Küche und macht Tapas, heute zittert sie mit.

Der Abpfiff, die Besucher liegen sich in den Armen. Mit Fahnen stürmen die Spanier auf die Straße. Zwei Jungs zünden Böller. Die vorbeifahrenden Autos werden gestoppt. Ein alter Mercedes mit Deutschland-Fans hupt.

Für seine Berliner Stammgäste bringt Mustafa zum Trost deutsches Bier in Weißweingläsern. Jetzt zeigt sich Werner versöhnt: „Sie haben verdient gewonnen.“ FRIEDEMANN BIEBER