Niederdeutsche Höhenflüge

Unterrichtsmaterialien, Rundfunksendungen, Straßenschilder: Auf Antrag der CDU debattiert die Bürgerschaft erstmals über und auf Platt. Lediglich die SPD hält sich sprachlich bedeckt

Von Henning Bleyl

Es ist die Stunde des Frank Imhoff. Der Landwirt aus dem Blockland, sonst im Parlament nicht an vorderster Front aktiv, begründet in geradezu geschliffenem Platt die Initiative der CDU zur Stärkung eben dieser Sprache. Wie viele Abgeordnete ihm dabei en detail folgen können, bleibt offen, schließlich gelten selbst in der CDU nur drei als native speaker. Zuvor hat sich Bürgerschaftspräsident Christian Weber redlich bemüht, den „Andraag vun de Frakschoon vun de CDU“ phonetisch korrekt anzukündigen.

Wollen die Christdemokraten ihre WählerInnen in Borgfeld und Umzu erfreuen? Oder einfach mal ein bisschen Stimmung in die Bürgerschaft bringen? Man sei „keine Spaßpartei“, beteuert Imhoff und die taz, die eben dies geschrieben hatte, „de hebbt Rotten op’n Böhn“ – „Ratten auf dem Dachboden“, wie man im Niederdeutschen offenbar so sagt.

Also im Ernst: Während 1984 mehr als ein Drittel der Norddeutschen fließend Platt sprach, tun das heute nur 14 Prozent – Platt ist bei der UNESCO als „bedrohte Sprache“ gelistet. Bis Ende des Jahres verlangt der Europarat einen Bericht, wie der EU-Charta zum Schutz von Regional- und Minderheitensprachen Genüge getan wird. Die CDU fordert deswegen die Verankerung in Lehrplänen, Unterrichtsmaterialien und Lehrerausbildung. Auch die Berücksichtigung im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk und das Aufstellen „plattdeutscher Stadtteilschilder“ sei erforderlich.

Magnus Buhlert (FDP), seinen Redebeitrag in lautsprachlicher Fassung vor sich, weist die Forderung nach einer jährlichen Bürgerschaftsdebatte auf Platt zurück – „dat dröff keen Dwang nich ween“ –, solidarisiert sich aber ansonsten mit den Forderungen der CDU. Die SPD verzichtet als einzige Partei auf einen plattdeutschen Beitrag. Deren bildungspolitischer Sprecher Mustafa Güngör betont gleichwohl die Wichtigkeit von Sprache zur Identitätsbestimmung – „gerade aus einem migrantischen Hintergrund heraus“ – und ebnet der Überweisung des Antrags an die Kulturdeputation den Weg. Und der Bürgermeister? Er spreche, wenn schon, Missingsch, gibt Jens Böhrnsen bekannt, das sei schließlich die Sprache der Werftarbeiter seiner Gröpelinger Heimat. Die Grünen geben – zweisprachig – zu Protokoll, dass sie den CDU-Antrag „vor allem als Show“ ansehen. Im Landesrundfunkgesetz etwa sei „die angemessene Berücksichtigung des Niederdeutschen“ längst verankert.

Selbst Klaus-Rainer Rupp, in Ostwestfalen geborener Linksparteiler, spart nicht mit einem idiomatisch angepassten Beitrag: Schon „de olle Marx“ habe auf die Formung des Bewusstseins durch Sprache hingewiesen. Welchem Redner gebührt schließlich der niederdeutsche Lorbeer? „Alle haben sich Mühe gegeben“, sagt Reinhard Goltz vom Institut für Niederdeutsche Sprache, zur Unterstützung des Protokolldienstes in die Bürgerschaft gekommen, salomonisch. Im übrigen könne auch gern auf Englisch debattiert werden, wenn daraus eine substantielle Sprachförderung resultiere.

Unter den norddeutschen Ländern gilt Bremen als Platt-Schlusslicht. Ein Stadt/Land-Gegensatz? Auch in Hamburg gibt es niederdeutsche Bürgerschaftssitzungen, selbst der Bundestag plenierte schon mehrfach auf Platt.

Wenigstens eine historische Dimension kann die gestrige Nachzügler-Debatte beanspruchen: Es war die erste in der Geschichte des Parlaments, in der sämtliche RednerInnen von jeweils allen Fraktionen Beifall erhielten. Eine solch harmonisierende Wirkung blieb dem Hochdeutschen bislang vorenthalten.