Rechtsanspruch auf Drogenhilfe

Die Stadt Hamburg verliert einen Rechtsstreit um die Finanzierung der psychosozialen Betreuung von Drogenabhängigen. Das Urteil könnte Auswirkungen auch für andere Nordländer haben

VON MARCO CARINI

Den Triumph in der Stimme kann Rainer Schmidt nicht verbergen. „Jetzt steht fest, dass die Zuwendungspraxis der Sozialbehörde bei der psychosozialen Betreuung jahrelang rechtswidrig war“, sagt der Geschäftsführer der Hamburger Drogenhilfeeinrichtung Palette e. V. Getroffen hatte das Hamburger Oberlandesgericht diese Feststellung, als es vor Kurzem ein Berufungsbegehr der Behörde gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts als „unbegründet“ ablehnte. Diese Instanz hatte im vergangenen Jahr entschieden, dass Drogenabhängige einen verbrieften Rechtsanspruch auf psychosoziale Betreuung (PSB) haben. Der Umfang der Maßnahmen habe sich allein danach zu richten, was die Klienten benötigten, um ihr Leben zu meistern.

Hamburgs Sozialbehörde aber hatte die PSB vor knapp fünf Jahren zur „freiwilligen Leistung“ des Staates erklärt – und die Mittel drastisch gekürzt. Eine 2004 erlassene Förderrichtlinie begrenzte nicht nur die Zahl der anspruchsberechtigten Klienten, die in Hamburg bei gut 2.000 Personen liegt, sondern auch den Umfang und die Dauer der Betreuung auf höchstens zwei Jahre. Der Spareffekt war gewaltig: Allein der Etat der Palette, die im Hamburger Schanzenviertel beheimatet ist, schrumpfte innerhalb von drei Jahren um zwei Drittel auf etwa 550.000 Euro pro Jahr.

Nach dem Gerichtsbeschluss kommen nicht nur auf Hamburg kaum kalkulierbare Mehrkosten zu. Nach Darstellung der Sozialbehörde haben bis auf Berlin alle Bundesländer längst von einem Rechtsanspruch auf Freiwilligkeit umgestellt – und so bei der Betreuung erheblich Geld gespart.

Laut den „Qualitätskriterien der Bundesärztekammer soll die PSB dem Patienten „durch geeignete Unterstützungsmaßnahmen“ dabei helfen, „die psychischen und sozialen Folgen der Abhängigkeit von illegalen Substanzen zu erkennen und zu überwinden“. Ihr Umfang richte sich dabei nach „den individuellen Umständen des Patienten“. Das jüngste Urteil stelle nun klar, dass nicht die Länder entscheiden könnten, wem sie wie viel Betreuung zukommen lassen, sagt Palette-Chef Rainer Schmidt: „Wer Hilfe benötigt, dem muss sie gewährt werden.“ In Zukunft seien deshalb „die Ausgaben für die Stadt nicht mehr planbar“, ergänzt Christian Bernzen, der Rechtsanwalt des Vereins.

Als „praxisfern“ bezeichnet Schmidt die bisher praktizierte Sparregelung der Behörde. So wurde die Zahl der Betreuungsstunden, die einem einem Substituierten zustehen, auf 24 begrenzt – pro Jahr. Nur „schwere Fälle“ bekamen 40 Stunden bewilligt. „Es gibt Abhängige“, sagt Schmidt, „die haben dieses Kontingent nach wenigen Wochen verbraten.“

Auch die Höchstdauer von zwei Jahren Betreuung nennt Schmidt „nicht zu verantworten“: Suchtkranke, die es in 24 Monaten nicht geschafft hatten, ohne solche Hilfen ihr Leben zu meistern, durften von den PSB-Hilfseinrichtungen nicht mehr betreut werden. Oft mussten Therapeuten und Pädagogen ihre Freizeit opfern, wollten sie die Suchtkranken nicht ihrem Schicksal überlassen.

Hamburgs Sozialbehörde hält sich in ihrer Reaktion auf das Urteil bedeckt. Es gehe nun darum, „die Auswirkungen des Gerichtsbeschlusses genau zu prüfen und zeitnah Gespräche mit der Palette aufzunehmen“, erklärt Sprecherin Jasmin Eisenhut.