Die letzte Sprosse vor der Katastrophe

Zwei Jugendliche sind von dem Vorwurf freigesprochen worden, einen Bombenanschlag auf das Rellinger „Apfelfest“ verüben zu wollen. Trotzdem müssen die 19- und 20-Jährigen hinter Gitter: Wegen mehr als 100 Straftaten „aus Frust und Hass auf Menschen“

Zwei Jugendliche aus Rellingen (Kreis Pinneberg) sind vom Vorwurf freigesprochen worden, einen Bombenanschlag auf das örtliche „Apfelfest“ geplant zu haben. Die heute 19- und 20-Jährigen haben sich nach Einschätzung der Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe im Herbst vergangenen Jahres nicht der Verabredung zum Mord sowie der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion schuldig gemacht.

Dennoch müssen André M, der am gestrigen Mittwoch mit Glatze und Skinhead-Outfit im Gerichtssaal erschien und nach eigenen Angaben Rechtsrock-Fan ist, und Kevin W. für dreieinhalb beziehungsweise drei Jahre in Haft: Beide haben gestanden, in mehr als 100 Fällen Sachbeschädigungen, Brand- und Buttersäure-Anschläge verübt und einen Briefkasten in die Luft gesprengt zu haben – ihr erklärtes Motiv: Frust und Hass auf Menschen. Für André M. ist überdies die Einweisung in die Jugendpsychiatrie in Schleswig verfügt worden.

„Wir haben Zweifel, dass sie zur Tat entschlossen waren“, begründete der Vorsitzende Richter Eberhard Hülsing den Freispruch, was das Bombenattentat angeht. Sicher habe M, der als treibende Kraft gilt und bereits Phantasien geäußert hatte, das örtliche Amtsgericht oder die Polizeistation in die Luft zu jagen, ernsthaft mit den Gedanken gespielt. „Aber mit dem Gedanken zu spielen oder bloße Erwägungen zu haben, reicht nicht aus, es gehört etwas mehr dazu“, sagte Hülsing „Man muss fest entschlossen sein.“ Und dafür hatte das Gericht keine Anhaltspunkte, auch wenn sich bei M. Utensilien für den Bau einer Bombe oder auch Pläne zur Zünderkonstruktion gefunden hätten.

Die entscheidenden Esprit-Tablette, die er 48 Stunden vor der geplanten Tatausübung gebraucht hätte, um das explosive Gemisch anzusetzen, habe M. nicht gehabt. Daher gehe das Gericht davon aus, dass bei den Angeklagten doch Skrupel die Oberhand gewonnen hätten. Schon bei der Sprengung des Zigaretten-Automaten nämlich habe ausgerechnet M. eine Gegend ausgesucht, in der niemand versehentlich durch umher fliegendes Glas hätte verletzt werden könnten. Der 20-Jährige habe „die Sprosse einer Leiter betreten“, sagte Hülsing, „aber noch nicht die letzte Stufe“.

Ursprünglich hatte demnach ein ganzes Quartett unter dem Einfluss von Alkohol und Cannabis die Anschlagspläne geschmiedet und bereits die Rollen für die Tat verteilt. Dann offenbarten sich zwei der Jugendlichen zwei Tage vor dem „Apfelfest“ in der 13.000-Einwohner-Gemeinde der Polizei.

Die Einweisung M.s in die Psychiatrie hatte auch sein Verteidiger beantragt: Sein Mandant sei „ein Spinner, der viel dummes Zeug redet“, sagte er im Plädoyer. Er sprach von einer „krankhaften abnormen Neigung“ M.s – bis hin zu einer Psychose. KVA