Wenn der deutsche Arzt zu teuer ist …

… könnte der Patient sich nach den Vorstellungen der EU-Kommission im Ausland behandeln lassen. Ganz so einfach ist es jedoch nicht

BRÜSSEL/BERLIN Die neue Richtlinie zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung soll nichts kosten, aber den Patienten enorme Vorteile bringen. Sie soll nicht in die nationalen Versorgungssysteme eingreifen, aber die bestehenden Einrichtungen und das medizinische Wissen allen Bürgern der Gemeinschaft besser zugänglich machen. Wer sich im Ausland behandeln lässt, bekommt den Satz erstattet, der auch im Inland gezahlt worden wäre. Das klingt gut. Doch der Richtlinienentwurf klammert die tatsächlich auftauchenden Probleme aus und bleibt in entscheidenden Passagen schwammig.

Zum Beispiel soll ein Mitgliedsland die Notbremse ziehen können, wenn sein nationales medizinisches Versorgungsmodell durch mehr Patientenmobilität Schaden zu nehmen droht. Wenn sich zum Beispiel deutsche Kassenpatienten ihre teuren Medikamente zunehmend von ausländischen Ärzten verschreiben lassen würden, sobald das Budget der Praxis um die Ecke für dieses Quartal erschöpft ist, wäre das zwar für die Patienten von Vorteil, für die Kassen aber stiegen die Kosten enorm.

Mit dieser Begründung könnte Deutschland ein Genehmigungsverfahren für Behandlungen im Ausland einführen. Doch nicht einmal die Experten wissen, ob Brüssel dafür grünes Licht geben muss. Ein hochrangiger Mitarbeiter der zuständigen Fachabteilung sagte, die Begründung müsse „transparent und gerechtfertigt“ sein, aber nicht von der Kommission genehmigt werden. Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou sagte genau das Gegenteil.

Wer zu Hause lange auf eine neue Hüfte oder eine Krebsoperation warten muss, soll in einem anderen EU-Land Hilfe finden können. Menschen mit seltenen Krankheiten sollen sich dort behandeln lassen, wo die besten Spezialisten forschen. Doch schon der EG-Vertrag ermöglicht die freie Arztwahl in der gesamten EU. Der Europäische Gerichtshof hat in einer ganzen Serie von Urteilen festgestellt, dass es den Patienten im offenen Binnenmarkt nicht verwehrt werden kann, ärztlichen Rat und Heilungsmöglichkeiten auch im Ausland zu suchen. Andreas Deffner vom Bundesgesundheitsministerium glaubt, dass die Auswirkungen des neuen Gesetzes gering sein werden. „Einen Ansturm auf deutsche Ärzte wird es nicht geben“, sagte er der taz.

Kritikern geht der nun vorliegende Gesetzentwurf nicht weit genug. Die Kommission sei davor zurückgeschreckt, den über die Dienstleistungsrichtlinie ausgebrochenen Streit auszufechten. „Der Markt für Gesundheitsdienstleistungen ist einer der Märkte mit dem höchsten Wachstumspotenzial. Diese Chance sollten wird nutzen“, fordert der EU-Abgeordnete Andreas Schwab (CDU). Dagegen warnt die grüne Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter davor, medizinische Behandlung als Ware zu betrachten. „Diejenigen, die es sich leisten können und mobil genug sind, könnten sich in Zukunft die Rosinen aus den verschiedenen europäischen Gesundheitsangeboten picken. Gerade für ländliche Regionen könnte dies das Ende der Gesundheitsversorgung vor Ort bedeuten.“ Über die neue Richtlinie entscheidet das EU-Parlament mit. Heiße Debatten nach der Sommerpause sind zu erwarten.

DANIELA WEINGÄRTNER, MATTHIAS LOHRE