Kriege für den Frieden

Freiheit und Demokratie mit Gewalt exportieren? Das hat eine lange und fatale Tradition, wie der Altphilologe Luciano Canfora beweist

Anfangs wurde der Irakkrieg vom Beifall der Konformisten unter den westlichen Intellektuellen begleitet. Schließlich war er ja begonnen worden, um Freiheit und Demokratie zu exportieren. Dieses Legitimationsmuster hat durchaus Tradition – das belegt der brillante Essay des italienischen Altphilologen Luciano Canfora.

So entschloss sich Sparta 431 v. Chr. zum Krieg gegen das aufstrebende Imperium Athens unter der Parole, den mit Athen verbündeten „Griechen die Freiheit zu bringen“. Nach den Worten des großen Geschichtsschreibers Thukydides (460–400 v. Chr.), stellten die Spartaner den Athenern ein Ultimatum: Krieg oder Frieden, diesen aber nur, „wenn ihr den Griechen die Autonomie/Freiheit zurückgebt“. Athen nahm das Ultimatum nicht an. Der Peloponnesische Krieg begann und dauerte 27 Jahre. Sparta gewann ihn und bezahlte den „Sieg“ damit, als Großmacht unterzugehen. Der Versuch, schlichte Machtpolitik mit „Freiheit“ zur Deckung zu bringen, scheiterte ganz grandios.

Während des Peloponnesischen Krieges half das mächtige Sparta der kleinen Insel Melos, als diese von Athen angegriffen wurde, ebenso wenig wie 1956 der angeblich der Freiheit verpflichtete Westen den Ungarn, als das Land von sowjetischen Truppen überrannt wurde. Der Sowjetunion hat diese Blocklogik weitere 45 Jahre Hegemonie über ihre „Verbündeten“ gesichert, aber „diese unterdrückten, ruinierten, als nicht vertrauenswürdig behandelten Verbündeten“ wurden schnell „ein immer größeres Sicherheitsrisiko“, wie Jean-Paul Sartre 1956 voraussagte.

Am Beispiel Afghanistans, das seit 150 Jahren Spielball ist zwischen Russland, England und China, nach dem Zweiten Weltkrieg auch noch zwischen den USA, Indien und dem Iran, demonstriert Canfora, wie der angebliche Export von Freiheit immer nur Machtansprüche verdeckt hat. Das von der Sowjetunion 1979 installierte Regime brachte Verbesserungen für die Stellung der Frauen, trieb aber vier bis fünf Millionen gläubige Muslime als Flüchtlinge aus dem Land. Die USA, der Iran und Pakistan unterstützten während der sowjetischen Besetzung fundamentalistische Guerillakämpfer, die nach dem Abzug der sowjetischen Truppen das Terrorregime der Taliban errichteten. Seit 2002 importiert das Land ungefragt die „amerikanische Freiheit“.

Der eher schlecht beleumdete Jakobiner Maximilien Robespierre (1758–1794) dagegen warnte 1792 eindringlich vor dem Versuch der liberalen Girondisten, das Freiheitsversprechen der Französischen Revolution mit Gewalt zu exportieren. Er gab der noch herrschenden Elite den ebenso schlichten wie rationalen Rat: „Die ausgefallenste Idee, die im Kopf eines Politikers entstehen kann, ist die Vorstellung, es würde für ein Volk genügen, mit Waffengewalt bei einem anderen Volke einzudringen, um es zur Annahme seiner Gesetze und seiner Verfassung zu bewegen. Niemand mag bewaffnete Missionare.“ Napoleon Bonaparte exportierte schließlich in einem fast zwanzigjährigen Krieg die „Freiheit“ nach ganz Europa (außer England) und erreichte damit wenig außer einer dreißig Jahre währenden Herrschaft von Reaktion und Restauration. Das europäische Jakobinertum applaudierte mit wenigen Ausnahmen Napoleons Eroberungspolitik.

Der elegant geschriebene und übersetzte Essay besticht durch seine präzise Argumentation, lässt jedoch zwei Fragen offen. Gibt es eine Alternative zur hegemonialen Barbarei? Die zweite Frage, die mit dem Problem des Exports von Freiheit verbunden ist, diskutiert Canfora leider nicht einmal en passant. Warum haben sich so viele so oft täuschen lassen? RUDOLF WALTHER

Luciano Canfora: „Die Freiheit exportieren. Vom Bankrott einer Ideologie“. Aus dem Italienischen von Christa Herterich, PapyRossa Verlag, Köln 2008, 101 Seiten, 9,90 Euro