berliner szenen Malermeisters Diktat

Besenrein ist nicht genug

Unser Hauswart schleicht mit gesenkten Augen und gespitzten Ohren hinter dem diktierenden Malermeister her. Uns würdigt er keines Blickes. Er sagt nur noch „Entschuldigung“, wenn er dem Malermeister im Weg steht. „Duschtasse“ – „Türfalz“ – „Gehrungen“ sagt er, wenn dem Meister während seines Diktats der Name eines Dings nicht einfällt.

Die Wohnung ist besenrein. Doch nicht nur das – zum zweiten Mal in nur drei Jahren wurde sie komplett renoviert. Die Heizungsrohre sind sogar auf der Innenseite lackiert, denn wir hatten bereits Post vom Anwalt der Vermieterin erhalten. Der Malermeister nickt seinem Souffleur anerkennend zu. Der Hauswart lächelt dann. Hat der Malermeister gestockt, spult er sein Band zurück und lässt uns den verpfuschten Satz mithören: „Auf der Türschwelle befindet sich ein Farbklecks. Dieser muss entfernt werden. Die? Die?“ Dann spricht er den Satz fehlerfrei ins Diktiergerät.

Schamlos packt er an den mühevoll weiß gestrichenen Innenräumen herum. Misstrauisch lugt er in jede Spalte, steckt den Finger in den Abfluss und den Kopf in die Toilettenschüssel. Der Hauswart weicht ihm nicht von der Seite. Mit einer ruckartigen Bewegung zieht der Meister seinen ausgestreckten Finger über das Backblech und hält ihn sich dann dicht unter die Augen. Ein bisschen ist es, als habe er vor unseren Augen den Finger in einen fremden Po geschoben. „Das Blech ist fett, verschmutzt. Der Herd schmuddelig“, diktiert er.

Die Augen des Hauswarts leuchten. Erst heute Morgen hatte er einen handgeschriebenen Zettel ins Treppenhaus gehängt, auf dem stand: „Warum haben Sie mir meinen Kaktus weggenommen? Davon hat doch niemand etwas. Das macht mich traurig.“ Der Hauswart ist kein Unmensch. SONJA VOGEL