Off-Kino: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Es ist nicht ganz einfach, heute die zeitgenössische Aufregung über Louis Malles zweiten Spielfilm „Les Amants“ (Die Liebenden) aus dem Jahr 1958 nachzuvollziehen. Denn ein Revolutionär der Filmsprache wie seine Kollegen Godard und Rivette war der Regisseur, der sein Handwerk als Unterwasserkameramann beim Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau erlernt hatte, ja nie. Und so wirkt die Geschichte einer Ehefrau und Mutter, die ihren Gatten, das Kind und einen Geliebten sitzen lässt, um mit einem Studenten durchzubrennen, den sie gerade erst kennen gelernt hat, heute eigentlich eher unspektakulär. Doch seinerzeit herrschten eben völlig andere Moralvorstellungen: In einer Ära, in der die deutschen Fassungen ausländischer Filme oft aussahen, als ob Konrad Adenauer und der Papst selbst die Schere zur Hand genommen hätten, schnitt die deutsche Zensur etwa alle Szenen heraus, die die Hauptdarstellerin Jeanne Moreau mit ihrer Filmtochter zeigen. Motto: sexueller Genuss ohne Reue gilt keinesfalls für Mütter. Und das ist letztlich Malles großes Verdienst: Er befreite die Darstellung von Sexualität im Kino von verschämten Anspielungen und Zweideutigkeiten.
Dieser Mann hat schon lange eine eigene Dokumentation verdient: In „Scott Walker 30 Century Man“ rollt Stephen Kijack die Geschichte des größten Popsängers aller Zeiten auf. Der ebenso geniale wie scheue Scott Walker stammt aus den USA, wo er unter anderem Surf-Platten gemacht hatte, doch erst in England wurde er mit den dramatischen Balladen seiner Band Walker Brothers zum Teenidol der Sechzigerjahre. Anschließend hatte er Erfolg mit Interpretationen von Brel-Songs, aber mit seinem selbst komponierten Geniestreich „Scott 4“ (1970) verschwand Walker schließlich vorübergehend in der Versenkung. Nach ein paar Middle-of-the-Road-Platten in den 1970er-Jahren und einer Walker-Brothers-Reunion, die bereits ahnen ließ, was da noch kommen sollte, veröffentlicht Walker seit etwa zwanzig Jahren in großen Abständen düstere avantgardistische Werke, die die Grenzen der Tonalität sprengen. Neben Bewunderern wie Jarvis Cocker kommt im Film auch Walker selbst zu Wort (eine Rarität!). Zudem gibt es Filmaufnahmen von den Sessions zu seinem Album „The Drift“ (2006) zu sehen. Klasse sind beispielsweise die Percussion-Einlagen auf gut abgehangen Fleischstücken…
Eine typische Idee von Drehbuchautor Charlie Kaufman: In Spike Jonzes exzentrischer Komödie „Being John Malkovich“ entdeckt der erfolglose Puppenspieler Craig Schwartz (John Cusack) hinter einem Aktenschrank einen Zugang zum Kopf des Schauspielers John Malkovich. Schon bald verkaufen Craig und seine Kollegin Maxine Eintrittskarten für einen Trip durch Malkovichs Bewusstsein an erlebnishungrige New Yorker. Doch dann ergeben sich für Craig und seine Gattin Lotte sowie für Maxine und Malkovich viele erotische Verwirrungen, und alle Beteiligten intrigieren geradezu hemmungslos herum. Eine ebenso amüsante wie intelligente Reflexion über Sein, Bewusstsein, sexuelle Identitäten und beruflichen Erfolg. LARS PENNING
„Die Liebenden“ 10./16. 7. im Filmkunst 66
„Scott Walker 30 Century Man“ (OF) 15. 7. im White Trash Fast Food
„Being John Malkovich“ (OmU) 10.–16. 7. im High End 54
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