Radioaktive Brühe rinnt in die Rhône

Bei einem Atomunfall in Südfrankreich laufen einige Kubikmeter einer radioaktiv verseuchten Flüssigkeit in die Gewässer – Angaben unklar. Behörden verbieten den Genuss von Trinkwasser. Umweltschützer befürchten erhöhte Krebsgefahr

Deutschland ist von den französischen Behörden zunächst nicht über den Zwischenfall in einer Nuklearanlage in Frankreich informiert worden. Offizielle Mitteilungen gebe es bislang nicht, sagte der Sprecher des Bundesumweltministeriums, Michael Schroeren, am Mittwoch in Berlin. Da der Zwischenfall keine grenzüberschreitenden Auswirkungen zu haben scheine, sei es nicht verwunderlich, dass die europäische Alarmkette nicht in Gang gesetzt worden sei. Slowenien war Anfang Mai scharf kritisiert worden, weil es den EU-weiten Alarm wegen eines Kühlwasserlecks im Atomkraftwerk Krsko ausgelöst hatte. Der Reaktor wurde damals abgeschaltet, bei dem Vorfall trat nach offiziellen Angaben aber keine Strahlung aus. Schroeren erklärte, für eine Bewertung des Zwischenfalls in Südfrankreich sei es noch zu früh. „Aber natürlich gibt dieser Vorfall einen Hinweis darauf, dass es sich bei der Atomkraft um eine Hochrisikotechnologie handelt.“ AP

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Atomunfall in Frankreich: Auf dem Gelände der südfranzösischen Atomanlage von Tricastin ist in der Nacht zu Dienstag eine große Menge Uran in den Boden, in das Grundwasser und in die beiden benachbarten Flüsse Gaffière und Auzon geschwappt. In den beiden Zuflüssen zur Rhône wurde am Dienstag eine tausendfache Uranbelastung gemessen. Dennoch wurde die örtliche Bevölkerung erst zehn Stunden nach dem Unfall informiert. Noch viel später veröffentlichte die Präfektur einen Erlass für die umliegenden drei Gemeinden, in dem sie das Wassertrinken, Wassersport, Bewässerung von Gärten und Feldern sowie den Konsum von geangelten Fischen bis auf Weiteres verbietet. Am Mittwoch lieferten Tanklaster den Anwohnern Trinkwasser. Thierry Charles vom französischen Institut für Nukleare Sicherheit (IRSN) erklärte: „Wenn die Leute kein Wasser trinken, gibt es kein Kontaminierungsrisiko.“

Über den Unfallhergang war bei Redaktionsschluss noch wenig bekannt. Beteiligt war das Uranverarbeitungsunternehmen Socatri, eine Tochterfirma des Atomkonzerns Areva, die auf dem Atomgelände von Tricastin arbeitet. Tricastin ist nach der Wiederaufbereitungsanlage von La Hague die zweitgrößte Atomanlage Frankreichs. Bei Socatri floss ein Uranbehälter über. Der Inhalt ging nicht, wie die Sicherheitsregeln das vorschreiben, in ein Auffangbecken, sondern sickerte sofort in den Boden. Da Socatri am Südrand des Atomgeländes und direkt an einem Wasserlauf liegt, kontaminierte ein Teil des Urans das Wasser.

Nach Mitteilung von Socatri ereignete sich der Unfall um 6.30 Uhr am Dienstagmorgen. Hingegen meldet des Institut für nukleare Sicherheit, das Uran sei bereits um 23 Uhr am Montagabend ausgetreten. Zu den widersprüchlichen Zeitangaben kommt hinzu, dass auch die ausgetretene Uranmenge umstritten ist. Nachdem die Socatri zunächst von 30 Kubikmeter Flüssigkeit mit insgesamt 360 Kilogramm Uran gesprochen hatte, korrigierte die Firma ihre Zahl am Mittwoch herunter: auf 6,25 Kubikmeter wässriger Lösung mit 75 Kilogramm Uran. Fest steht, dass die Politiker vor Ort erst am Dienstag um 13.30 Uhr und die Medien erst am Dienstag um 16 Uhr informiert wurden. Die staatliche Atomaufsicht wurde am Dienstagmorgen informiert und will wegen möglicherweise verspäteter Benachrichtigung „nötigenfalls Strafen verhängen“, so die Behörde.

Der französische Atomkonzern Areva, Hauptbetreiber der Anlage von Tricastin, wo sich auch ein AKW befindet, erklärte, der Austritt der radioaktiven Flüssigkeit habe weder Folgen für das Personal noch für die Anwohner der Anlage. Auch ein Ingenieur von der französischen Atomaufsicht meint, die Gefahr für die Umwelt und für Personen sei nur „sehr gering“. Zudem werde das Uran über die beiden Zuflüsse sehr schnell in die Rhône gelangen und sich dort „auflösen“.

Umweltinitiativen schätzen die Gefahren, die jetzt von Tricastin ausgehen, jedoch anders ein. Das Antiatomnetzwerk Réseau Sortir du Nucléaire sieht eine „erhöhte Krebsgefahr“ für die Anwohner. Am kommenden Samstag organisiert Réseau Sortir du Nucleaire eine schon seit Langem geplante Demonstration gegen die französische Atompolitik in Paris.

Beschäftigte und Gewerkschaften von der Atomanlage haben in der Vergangenheit darüber geklagt, dass sensible Arbeiten zunehmend von Subunternehmen erledigt würden. Diese würden billiger, aber weniger sorgfältig arbeiten. Die Umweltorganisation Greenpeace lobte, dass die Behörden den Wasserkonsum in der Umgebung der Atomanlage verboten haben. „Die Reaktion ist angemessen“, sagt Yannick Roussel. Zugleich weist er darauf hin, dass täglich „tausendmal höhere Strahlenbelastungen“ von der Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins Wasser geleitet werden. Dort verbieten die Behörden nicht einmal das Wassertrinken.