Blinde um den Hund gebracht

Weil er ihr ein selbstständiges Leben erleichtern würde, wünscht sich Monika Franke einen Blindenhund. Ihre Krankenkasse winkt ab – helfen könnten der sechsfachen Mutter ja ihre Kinder

Eine Blinde erhält keinen Führhund, weil sie Kinder hat? „Wenn die Krankenkasse tatsächlich so argumentiert“, sagt Ulrich Hase, „lässt sie eklatant außer Acht, dass ein Mensch mit Behinderung einen eigenen Anspruch hat, unabhängig von der familiären Situation.“ Denn der BKK-Logik nach „dürfte eine Frau keine Kinder haben, um Hilfsmittel zu bekommen“, wundert sich der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein – „eine höchst merkwürdige Begründung“. Nicht jeder Blinde indes erhalte einen Führhund, es findet in jedem Fall eine Prüfung statt. Dabei geht es unter anderem darum, ob der Mensch mit dem Tier umgehen kann und ob die Wohnung genug Platz bietet. Doch die Frage nach Kindern darf laut Hase keine Rolle spielen: „Die politische Leitlinie lautet seit Jahren, dass jeder Mensch das Recht auf eine eigenständige Lebensführung hat.“ EST

AUS SÜDERBRARUP ESTHER GEISSLINGER

Von draußen klingen die Stimmen von Kindern herein, Kaffee dampft, Sonnenstrahlen wärmen die Küche. Die Uhr sagt mit lauter Stimme die Zeit an. Monika Franke sitzt gern im Hellen – sogar wenn sie liest, macht sie Licht an. „Mein Mann sitzt lieber im Dunkeln“, sagt Franke. „Komisch, oder?“

Hell und Dunkel kann Monika Franke unterscheiden, dazu reichen die Reste ihres Sehvermögens. Seit ihrem fünften Lebensjahr ist die 36-Jährige, die heute in Süderbrarup bei Schleswig lebt, blind. Selbstbewusst wuppt sie einen großen Haushalt: Sechs Töchter und Söhne hat Monika Franke. Die Älteste, Sarah, heute 19, wurde geboren, als Franke selbst 17 Jahre alt war. Es folgten Timo, 16, Martin, 9, Jan, 7, Alina, 5, und Jasmina, 2. Wirklich geplant war der Kindersegen nicht, aber schön ist er trotzdem, findet Franke.

Blind, sechs Kinder, der Mann Manfred ist tagsüber bei der Arbeit – jede Menge Stress, aber Monika Franke hat eigentlich alles im Griff. Trotzdem wünscht sie sich für einige Dinge Hilfe. Ein Farberkennungsgerät, das per Tonsignal Farben anzeigt, wäre praktisch: „Damit ich nicht dunkle und helle Sachen zusammen wasche und die Kinder ordentlich anziehen kann.“ Vor allem bräuchte sie, die in ihrem früheren Wohnort Hannover gut zurechtkam, einen Führhund, der sie beim Einkaufen oder zu anderen Erledigungen begleitet: „Der nächste Laden ist 20 Minuten weit weg, und ich muss die Kinder morgens in die Kita bringen.“ Das macht inzwischen eine Nachbarin, dennoch ist es für Franke schwierig, ihr Leben so zu führen, wie sie es möchte.

Ihre Krankenkasse, die BKK Mobil Oil, sieht das anders. Sowohl die Bitte um das Farberkennungsgerät als auch der Antrag für einen Führhund – Kosten inklusive Ausbildung, Training, Geschirr: 11.000 Euro – lehnte die Kasse ab. Begründung, laut Monika Franke: Sie habe ja Kinder, die ihr beim Wäsche-Sortieren oder beim Spazierengehen helfen könnten.

„Wie soll das gehen?“, fragt sich Franke. Ihre Älteste ist aus dem Haus, beginnt eine Lehre. Timo, selbst sehbehindert, besucht eine auswärtige Schule. Und die Kleinsten sind zu jung, um den Straßenverkehr zu überblicken. Franke protestierte und erhielt von der Kasse eine neue Begründung: Ein Hund heile die Blindheit nicht. „Als ob ich das nicht wüsste“, sagt Franke.

Die BKK Mobil Oil, ein Unternehmen mit – laut Selbstauskunft – über einer Million Kunden, mochte sich zu dem Fall nicht äußern. Sprecher Christian Dierks sagt nach mehrmaliger Anfrage zwar einen Rückruf zu, schickt dann aber nur eine E-Mail, in der es heißt, das Unternehmen halte „eine öffentliche Berichterstattung für nicht förderlich“ und weise „höchst vorsorglich“ auf eine „presserechtliche Überprüfung“ hin. Hilft der Blick auf die Homepage? Dort verspricht die BKK Mobil Oil – mit Postadresse in Hamburg und Kassensitz in Celle – zu leisten, „worauf es ankommt“. Dafür gebe es eben keine „Vegetarierkreuzfahrt oder Fangohüpfen“. Ist für die Versicherer ein Blindenhund gleich Fangohüpfen?

„Für mich wäre ein Hund extrem wichtig“, sagt Monika Franke. Das Tier gäbe ihr Sicherheit: „Wenn etwa Wind weht, höre ich nicht, ob ein Auto kommt oder wo meine Kinder auf dem Spielplatz herumtoben. Also gehe ich bei Wind lieber gar nicht mit den Kleinen raus.“ Liegt Schnee, könne sie allein mit dem Stock nicht feststellen, ob sie noch auf dem Gehweg oder schon auf der Straße ist – nicht ungefährlich in dem Dorf, durch das eine schnell befahrene Hauptstraße führt. Auch Hindernisse wie überhängende Büsche erkennt Franke manchmal zu spät: Dann habe sie plötzlich „große, pieksige Dinger“ im Gesicht.

Vielleicht rührt sich die Krankenkasse ja doch noch. Wenn ein Brief ins Haus flattert, liest Monika Franke ihn zuerst: „Mein Mann hat keine Lust auf Papierkram, also erledige ich das meiste.“ Möglich macht das ein Scanner, der mit dem PC und einem Lautsprecher verbunden ist. „Es gibt schon tolle Hilfsmittel“, sagt Franke. „Wenn man sie denn bezahlen kann.“