ausgehen und rumstehen
: Internetschweden im Terpentinübel von Kreuzkölln

„Man muss nur einen guten Gedanken haben, dann ordnen sich die Fakten von selbst an, so wie Späne um einen Magneten“, wurde mir gestern Abend als kleine Schreibinstruktion mit auf den Weg gegeben – eingequetscht zwischen einem Miniausstellungsraum im neuen Kofferkiez Kreuzkölln zwischen einem „Piratenbus“, der aus Schweden auf dem Weg zur Manifesta in Südtirol ist, und einem Restaurant, das sich selbst „Bestes Restaurant – Cafe`“ nennt (und der Akzent ist tatsächlich hinter den Buchstaben gesetzt: „e`“). Benommen von so viel guter migrantischer Authentizität, berauscht vom coolen Anticopyright-Piratenbucht-Webseiten-slash-Kunstprojekt im Busformat steht man hier also dekorativ mir allerlei Kunstpublikum vor der Tür herum, umweht von einem derart penetranten Lösungsmittelgeruch, als hätten alle Mädchen auf Befehl ihren Chanel-Nagellack ausgekippt. Könnte ja sein und ginge dieser Tage vielleicht sogar als Kunstprojekt durch.

Kein zweites Mitte

Als Quelle des Terpentinübels lassen sich dann aber doch nur ein paar von den Internetschweden dingfest machen, die über den Verkauf von Pirate-Bay-T-Shirts ihren Bus finanzieren wollen, denn: „One half of the bus is paid by Manifesta, the other half is t-shirt-money!“ „T-Shirt-Money“ – Hört sich irgendwie gut an, fast wie eine Art Spielgeld. Auf dem Kunstnadelöhr drängen sich ab und an lokale Bewohner, grummeln und rufen: „Kannste mal den Weg freimachen!“

Eine der vier Betreiberinnen der Bar, im Tagesleben Pressesprecherin einer großen Berliner Institution für zeitgenössische Kunst, quittiert das Ganze augenzwinkernd abgepolstert als „Clash mit Neukölln“, nur um dann gleich hinterherzuschieben, dass das Ganze hier eigentlich nichts mit Gentrifikation zu tun hat, man wohne ja selbst schon länger hier – zwischen Fahrrad- und Bioladen – das ist ja alles schon längst in festen Strukturen und außerdem: Berlin hat gar nicht die Power, noch einmal ein zweites Mitte auf die Beine zu stellen. Wow!

Alles in allem ein derart entwaffnendes Argument, dass ich bald auch ans Gehen denke. Spätestens als ein anderer Barbetreiber das Bierflascheneinsammeln per Fingeraufstecken, das er vor meiner Nase zelebriert hat, als „Denken mit den Fingern“ beschreibt, mache ich mich auf den Weg. Heißt das jetzt also, dass er mindestens zehn kleine Gehirne in den Fingerspitzen hat, oder hat er nur eins, das sich in betrunkenem Zustand metastasenartig in die letzten Extremitäten des Körpers ausdehnt? Vielleicht ist er aber einfach nur extrem haptisch veranlagt und kann ohne Gehirn denken.

Später dann, auf einer Studioparty nahe der Gneisenaustraße: alte Autowerkstatt, vorher Pferdestall und jetzt – Atelierkomplex, was sonst. Heute dürfen alle Künstler präsentieren, was sie denn so machen, wenn man Kunst macht. Aber viel passiert hier nicht mehr, nur ein Atelier ist noch auf, vor dem Betrunkene und weniger Betrunkene herumlungern, weil drinnen eine Noise-Effektgerät-Trash-Band in monströser Lautstärke gerade versucht, den verbliebenen Rest zum Nachhausegehen zu ermuntern. Der erfolgreichste der hier arbeitenden Künstler war sowieso nicht da – der stand hinter dem Tresen der ersten Bar. Bleibt nicht mehr viel übrig, als den Kühlschrank in der Ecke nach noch nicht ausgetrunkenen neuen Gehirnen zu durchsuchen. DOMINIKUS MÜLLER