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Die Boote des Monsieur Caillebotte

Er ist der Wichtigste der Unbekannten, der Sammler der Wichtigen, der Organisator ihrer Ausstellungen: Der Impressionist Gustave Caillebotte wird derzeit in der Bremer Kunsthalle entdeckt. Zu Lebzeiten machte er eher als Regatta-Teilnehmer Furore

VON HENNING BLEYL

Von seiner Kunst nicht leben zu müssen, kann ein echter Nachteil sein. Wer nicht für den Markt malt, bildet keine Manierismen aus, muss keine Erkennungsmerkmale kreieren und sich nicht wiederholen. Wer nicht verkauft, wird nicht bekannt. Deswegen ist Gustave Caillebotte, dessen Werk derzeit in der Bremer Kunsthalle gezeigt wird, was er ist: einer der erfolgreichsten Segler seiner Zeit. Und der Wichtigste der unbekannten Impressionisten.

Zeitlebens behielt er die allermeisten seiner Arbeiten für sich, im Prinzip halten das auch seine größtenteils immer noch vermögenden Nachkommen bis heute so. Erst seit etwa 15 Jahren sind Caillebottes Werke durch Ausstellungen in Paris, Chicago und Lausanne einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich – die jetzige Bremer Schau ist die erste Einzelausstellung in Deutschland.

Was die Kunsthalle nun zeigt, ist weder klassische Retrospektive noch eine ausschließliche Thematisierung des Segelsports als künstlerischem Sujet. Auch Stadtansichten und Interieurs spielen eine Rolle, in all‘ diesen Genres erweist sich Caillebotte als ständiger Sucher nach neuartigen Perspektiven. Die Pariser Straßenfluchten, etwa in Gestalt der „Fassadenmaler“ von 1877, sind ihm dafür ein ebenso geeignetes Studienfeld wie der Blick auf den familiären Frühstückstisch: Mit einem scharf angeschnittenen Teller markiert er den eigenen Platz. Auch der streng begrenzte „Blick durch ein Balkongitter“ macht deutlich, wohin die künstlerische Reise gehen soll: weg von romantisierender Wirklichkeitsverzerrung, hin zu einem rigorosen Naturalismus.

Viele dieser Bildformate müssen als kühne Konventionsbrüche gelten – was sich heutige, an die allgegenwärtige Schnappschuss-Ausschnitt-Ästhetik gewöhnte BetrachterInnen freilich erst bewusst machen müssen. Was an Caillebottes perspektivischen Experimenten tatsächlich neu war, macht ein Blick auf seine künstlerische Ausgangsposition klar: Er lässt sich in Paris an der traditionsorientierten École des Beaux Arts unter anderem bei Adolphe Yvon ausbilden, dem offiziellen Schlachtenmaler der französischen Regierung im Krimkrieg. Einem eher akademischen Realismus verpflichtet sind auch Caillebottes „Parkettabzieher“ – sein bislang einziges von der Kunstgeschichte „kanonisiertes“ Werk –, das die Bremer KuratorInnen ziemlich zu Beginn der Ausstellung positionieren: Zwei gebückte Gestalten, die mit ihren Werkzeugen lange Streifen in den ölig flimmernden Boden schleifen. Dass der offiziöse „Pariser Salon“ die „Parkettabzieher“ ablehnt, was sie wiederum zur Aufnahme in die zweite Impressionisten-Schau adelt, liegt weniger an der malerischen Technik als am Sujet: Arbeit. Nackte Muskeln und schwitzende Körper, die auf dem Boden herumrutschen.

Seit 1876 also stellt Caillebotte gemeinsam mit Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir, Edgar Degas, Camille Pissarro und Paul Cézanne aus, seine künstlerische Entwicklung ist intensiv, aber kurz: Letztlich hat er nur 15 Jahre lang vornehmlich gemalt, auch sein logistisches Engagement für die Impressionisten – er war der maßgebliche Organisator von fünf ihrer insgesamt acht gemeinsamen Ausstellungen – endet schon 1882: Er überwirft sich mit Degas, dem zweiten Reichen unter den Impressionisten. Mit ihm zusammen sei „keine Ausstellung möglich“, schreibt Caillebotte frustriert an Pissarro.

Als „Mann auf der Suche nach einer Mission“, wie Daniel Charles ihn nennt, hat Caillebotte genug anderes zu tun: Neben dem Aufbau einer Briefmarkensammlung, die immerhin zum Grundbestand der British Library avanciert, investiert er seine Energien vor allem in den Segelsport – und wird schon bald zu dessen dominanter Figur. Caillebotte verbessert grundlegend die Konstruktion der Seine-Segler, indem er tief gehende Kiele einführt – zuvor musste nach jeder Wende Ballast in Gestalt von Bleisäcken umgewuchtet werden.

Caillebottes akribische Konstruktionszeichnungen, im Längsschnitt einem umgedrehten Napoleon-Hut ähnelnd, sind selbstverständlicher Teil der Bremer Ausstellung – schließlich avancierten die Produkte der Caillebottschen Bootswerft, angeblich der modernsten Europas, ihrerseits zum Objekt seiner Malkunst. Für einen an Spiegelungen, Reflexen und Oberflächenspannung interessierten „Impressionisten“ ist Wasser ohnehin das ideale Medium, nicht zufällig debütierte auch Monet als „Marinemaler“. Bei Caillebotte machen die Ruder- und Segelboote etwa ein Viertel des rund 500 Werke umfassenden künstlerischem Gesamtwerk aus. Das Hauptmotiv „Roastbeef“, einer von Caillebottes 21 selbst gebauten Seglern, ist in all seiner Eleganz ebenfalls in der Kunsthalle zu bewundern.

Das Prinzip, sich seine Motive immer wieder auch selbst zu schaffen, teilt Caillebotte durchaus mit anderen: Monet malte gern den Garten in Giverny, Gauguin die eigenen Keramiken und Skulpturen. Was Caillebotte jedoch zweifellos zu einer Ausnahmeerscheinung macht, ist die Lückenlosigkeit seiner Produktions- und Verwertungskette: Er baut ein Boot, malt es und gewinnt damit Rennen. Auch im Kleinen wahrt er derartige Kontinuitäten: Er entwickelt die ersten international gültigen Wettbewerbs-Regularien, die dann in „Le Yacht“ – deren Hauptaktionär Caillebotte heißt – veröffentlicht werden, regelmäßig räumt er bei Regatten die von ihm selbst gestifteten Preise ab. Finanzieller Hintergrund ist ein exklusiver Liefervertrag zwischen Vater Caillebotte und der französischen Armee: Sämtliche soldatische Bettwäsche der Dritten Republik war made by Caillebotte.

Was aber ist nun mit der Kunst made by Caillebotte? Bei Christie‘s erzielte sein „L‘Homme au balcon, boulevard Haussmann“ im Jahr 2000 einen äußerst ansehnlichen Preis, aber man muss durchaus nicht jeden Caillebotte als Meisterwerk empfinden. Die Insassen seiner „Kanus auf der Yerres“ etwa wirken mit ihren verkürzten Gliedmaßen und den um die Paddel gekrallten Schrumpfhänden wie reichlich statisch-steife Statisten einer Szenerie, die vornehmlich als Wasseroberfläche interessiert. Und Caillebottes „Lesende Frau“, in der Kunsthalle ebenfalls prominent platziert, besticht weniger durch die Genialität der Ausführung als durch eine für damalige Verhältnisse höchst ungewöhnliche Zuweisung der intellektuellen Rollen: Die Frau, groß im Vordergrund, liest Zeitung, der Mann, weit hinten im Sofa versinkend, schmökert in einem Roman. Ein liberaler Geist, der das so malte.

Zumindest als Käufer hat Caillebotte einen unbestreitbaren Platz in der Kunstgeschichte: Seit den 1870er Jahren sammelte er die Bilder seiner Freunde, so entstand eine Kollektion aus erster Hand, die er schon als 28-Jähriger per Testament dem französischen Staat vermacht. Aus dieser Verfügung entwickelt sich nach Caillebottes frühem Tod die „Affaire Caillebotte“, die der zeitgleichen Dreyfus-Affäre zwar an Dramatik, jedoch kaum an öffentlicher Aufmerksamkeit nachsteht. Höchste Regierungskreise diskutieren erregt über die „Beleidigung der staatlichen Sammlungen“ durch die Erbschafts-Offerte, noch über 20 Jahre nach der ersten Impressionisten-Ausstellung gelten deren Werke als irgendwie unanständig – „als hätte ein Affe in den Malkasten gegrapscht“, wie „Le Figaro“ formuliert. Erst nach langen Auseinandersetzungen erklärte sich das Komitee des Nationalmuseums bereit, einen Teil der Bilder anzunehmen, unter ihnen Renoirs heute so hochgeschätzter „Ball im Moulin de la Galette“. Es ist die erste museale Präsentation impressionistischer Gemälde, die Grundlage ihres Nachruhms.

Nach Bremen passt die aktuelle Caillebotte-Schau schon deswegen, weil der hiesige Kunsthallen-Direktor Gustav Pauli im „Salle Caillebotte“ Trost fand. Nachdem er 1911 wegen des Ankaufs von van Goghs „Mohnfeld“ den „Protest deutscher Künstler“ auf sich gezogen hatte, flüchtete er Richtung Spanien und besichtigte auf dem Weg die aktuellen Pariser Sammlungen. Paulis lakonisches Urteil: „Lauter Landeskinder, die es gut meinen und fleißig sind“. Einzige Ausnahme: die Künstler im Salle Caillebotte.

„Über das Wasser – Gustave Caillebotte: Bis 5. Oktober in der Bremer Kunsthalle, anschließend im Ordrupgaard bei Kopenhagen

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