: Ganz dicke Tortenstücke
Einst Luxuskurort der Aristokraten, ist Opatija heute vor allem Ziel junger Familienurlauber
VON THOMAS FEIX
Wunderschön. Jeder sagt es, der einmal in Kroatien war, jeder schwärmt. Schöner als Italien. Näher als Portugal, anmutiger als Spanien, maßvoller als Frankreich. Hans oder Franz nennen die Kroaten die Deutschen. Klingt hübsch. Ich bin in Richtung Opatija unterwegs, Halbinsel Istrien. Die Stadt ist mal österreichisch gewesen. „Piefke“ sagt der Österreicher zum Deutschen. Macho heißt das kroatische Eis am Stiel. Schwarze Schokolade, Überzug und Füllung. Es muss schön sein in Kroatien. Wunderschön.
Nach Zagreb mit dem Flugzeug, von München aus eine Stunde, eine einfache Sache. Dann mit dem Bus, das dauert, aber das ist nicht schlimm. Bald kommen die Palmen, die Pinien, die Felsen, die Rundungen, die die Berge sind. Dann das große Wasser, die Adria. Dann helle Mauern, rote Dächer, Opatija, eine Stadt wie aus Zuckerwerk. Das Tal hinunter breitet sie sich an der Kvarner Bucht aus, kleine Boote im Hafen, Segelboote, Ruderboote. Darüber ein grüner Gipfel, von dem aus der Blick bis nach Venedig reicht. Dann kommt nichts mehr. Es muss nichts mehr kommen. Du bist da.
Verlange nie Cevapcici, habe ich von Mladen gehört. Ein türkisches Gericht, hat er gesagt. Die Kroaten mögen das nicht. Schinken, Schafskäse, Goldbrasse, oh ja, aber nie Cevapcici. Vor dem Spielcasino hatte Mladen gesessen und sich Regina, die Miss Oktoberfest, im kroatischen Playboy angesehen. Deutschland hat er kennengelernt, vor langer Zeit, damals noch als Jugoslawe. Jetzt zwinkert er den Leuten zu, die seinen Blick erwidern. In seinen Brillengläsern funkelte die Sonne, und durch die Tür des Casinos gingen Männer, die sich umblickten, als würden sie ein Bordell betreten. Ich stehe vor der Vitrine der Konditorei am Grand Hotel, sehe mir den Kuchen an.
15 Zentimeter dick die Cremeschnitten, 20 die Trüffel-, die Nugat-, die Schwarzwälder-Kirsch-, die Herrentorte. Sahne-, Butter-, Puddingschichten, es türmt sich auf und quillt über auf dünnen Teigböden. Warm ist es, das Licht gedämpft, das Personal flüstert und schwebt durch den Raum. Sie sind da gewesen, fällt mir bei der Gelegenheit ein. Kaiser, Könige und Barone, der Geldadel und die Neureichen Europas. Ein sogenanntes Stelldichein.
Den Kuchen ließen sie mit der Eisenbahn kommen, Sachertorte vor allem. Ein halber Tag, dann war sie da. Anders als aus Wien, aus dem Café Sacher wollten sie sie nicht. Sie pflegten ihre Zipperlein in Bädern und in Thermen, sie schwelgten in Genüssen, Intrigen darunter und die neueste Liaison. Danach der Höhepunkt des Tages, dann war die Geliebte dran. Kur nannten sie es, und es war ihnen ein großes Vergnügen. Ein einziges Fest, ein einziger Rausch, die Bälle und die Empfänge, das ganze Jahr durch, ohne Pause. Gründerzeit war Aufbruch, und Opatija hieß Sankt Jakob.
Heute ist die Stadt wieder europäisch, nach kurzer italienischer und langer jugoslawischer Zeit. Kur in Opatija heißt heute Wellness, was sogar global und auch nach Aufbruch klingt. Plebejisch die Gäste, sie tragen Bauchtaschen, Tennissocken, kurze Hosen, Badepantoffeln, Stringbikini, sie schieben Kinderwagen vor sich her, die Promenade rauf, die Promenade runter, kilometerweit. Manchmal Hüte aus Stroh, toupiertes Haar, starres Make up, ältere Damen, Wiener Dialekt.
Ich möchte noch ein Macho-Eis. Ausverkauft. Macht nichts. Dann eben King, Nugat-Vanille. Auch nicht übel. Am Abend kehren die Gäste in die Hemingwaybar ein. Sie beobachten die tief liegenden Autos, die vorgefahren kommen. Später das Mädchen oben auf dem Podest, wie sie zuckt und oben ohne Musik auflegt. Was Schnelles, Dröhnendes.
Die Nächte in Opatija sind laut und schnell und voller Paare, die eng umschlungen sind, am steinigen Ufer, auf Bänken unter Palmen. Dunkel muss es sein, nachtschwarz. Erst ist der Mond aufgegangen, dann die Venus. Und gegenüber die mächtigen, gebirgigen Silhouetten der Inseln Krk und Cres, Ruhepunkte. Ein Anblick wie die Ewigkeit.
Stadt der Blumen. Die Kamelien, die Magnolien. Die wilden Orchideen, im Gras verborgen. Der Park Angiolina soll über hundert Pflanzenarten haben. Alles subtropisch, alles mitgebracht von Seeleuten, deren Schiffe einst im Hafen lagen. Ich gehe an einem Mammutbaum vorbei, will zum Kvarner Hof, dem alten Hotel. Sehr groß, sehr hoch, sehr gerade, der Baum. Erhaben steht er da, Lorbeerbäume ringsum, Bambus- und Bananenstauden.
Franz Josef I. hat den Baum umkreist, an seiner Seite eine Schauspielerin aus Wien. Da ist der Baum noch ein Bäumchen gewesen, und Sisi, die Kaiserin, verbrachte die Tage auf Korfu, mit einem ungarischen Grafen. Der Uferweg, der in den Park mündet, trägt Franz Josefs Namen. Doch darüber, oben in der Stadt, ist die Marschall-Tito-Promenade, größer, breiter, heiterer. Dort oben vergnügt sich das Volk. Es hat Tito geliebt, weil er Kroate war und stark, und es liebt ihn immer noch. Dort oben hat er seine Reden gehalten, wenn er in der Stadt war.
Der Kvarner Hof, Kroatiens ältestes Hotel. Gründerzeitbau, Schloss Schönbrunn in Wien nachempfunden. Auf der Meerseite eine Terrasse, Marmorfußboden, und ein Pool, hellblau gefliest, verlassen. Die Fensterläden geschlossen, das Hotel wirkt unbewohnt. Winzig die Lobby. Die Rezeption nicht besetzt, die Bar, an der keiner steht. Leer die Korridore, der Schritt hallt. An einem Tisch im Speisesaal ein Mann, eine Frau, ein altes Ehepaar beim Frühstück, Rührei mit Spargel, Pinienbrot dazu.
Sie schweigen, sie gucken in die Luft. Wie schön es hier einmal gewesen sein muss. Wunderschön. Dahin die Zeit, da berühmte Leute sich von einem Aufenthalt in Opatija Linderung ihrer Leiden versprachen und im Kvarner Hof abgestiegen waren. Tschechow und Sienkiewicz, die Schriftsteller, Kalman und Mahler, die Komponisten. Für die Linderung vieler Leiden ist der Aufenthalt in Opatija gut. Für Bronchitis und Asthma, für Rheuma, Diabetes, Ischias. Trocken die Luft, hoch angereichert mit Meersalz, befreiend. Milde Winter, lange Sommer. Bura und Jugo, die das bewirken, die Winde, die über die Berge kommen, einfach sagenhaft.
Im Kristallsaal des Kvarner Hofs ein Kongress, Computerfirmen, und ich darf nicht rein. Spiegel, Lüster, durchgesessene Stühle. Nach den Prinzessinnen und Prinzen sind die sozialistischen Schlagersänger da gewesen, sie haben im Saal ihre Wettbewerbe abgehalten, als Gegenstück zu den Festivals in San Remo. Ein Zwischenspiel. Man wird bald wieder unter sich sein. Das Hotel wird jetzt renoviert, Schritt für Schritt. Opatija soll wieder Luxuskurort werden, fünf Sterne, für die Erfolgreichen und Verwöhnten. Den sogenannten Jetset. Warum nicht.
Ich will weiter, Richtung Süden, die Küste entlang. Nach Senj und Nehaj, die Stätten des Romans „Die rote Zora und ihre Bande“ sehen. Danach Rab, die Insel, nicht mehr weit. Rab hat einen Nacktbadestrand, feinster Sand. Ich werde vorher die Raber Torte versuchen, echt kroatisch. Marzipan, Zitronenaroma, trockener, fester Teigmantel, sonst nichts. Eine Explosion im Mund, heißt es. Aber das alles wird eine eigene Geschichte sein.
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