piwik no script img

Auf der Flucht ins Heimweh

Was passiert, wenn deutsche gegen israelische Autoren Fußball spielen? Assaf Gavron zeigt auf dem Feld des Kulturaustauschs Ballack’sche Qualitäten. Er geht Konfrontationen aus dem Weg, lässt sich aber auch nicht durch Klischees vereinnahmen

„Ich räume Israelis so wenig das Recht ein, ihre Politik mit dem Holocaust zu begründen, wie den Deutschen, ihn zu vergessen“, sagt Gavron

VON RALF BÖNT

Seit sein Roman „Ein schönes Attentat“ in diesem Jahr auf Deutsch erschien, ist der israelische Bestsellerautor Assaf Gavron auch hierzulande ein gern gesehener und häufig eingeladener Mann. An diesem Wochenende hält er sich zum Beispiel in Augsburg auf, der Stadt des Religionsfriedens und Heimat Bertolt Brechts. Auf das Podium des abc-Festivals setzt er sich aber nicht wegen des Dramatikers. Mit Brecht verbindet den israelischen Romancier, so meint er im Gespräch, wenig: „Brecht hat in einer Zeit gelebt, in der es schwierig gewesen ist, Ansichten zu äußern und gegen den Strom zu schwimmen. Deshalb hat er das Land öfters wechseln müssen. Ich dagegen habe nicht das Gefühl, dass Israel ein Ort ist, an dem du deine Meinung nicht sagen kannst oder von dem du weggehen musst, um freier zu leben. Aber du hast in Israel andere Probleme und Hindernisse, zum Beispiel wenn du dem Mainstream sagen willst, dass was falsch läuft.“

Gavron wirkt in der persönlichen Begegnung keineswegs so aggressiv, wie dieser Satz klingt. Er hat einen ausgeprägten Reflex zum Abwiegeln. Vor einigen Monaten habe ich ihn beim Fußballspielen kennengelernt, als wir deutschen Autoren einmal israelische Kollegen treffen wollten. Immer verbindlich und freundschaftlich hat er zwar mit Akribie und professioneller Zielstrebigkeit eine Mannschaft aus israelischen Lyrikern, Romanciers und Comicautoren aufgestellt, hat eine Kaffeehauskette als Sponsor gewonnen und sich darauf vorbereitet, gut gegen uns auszusehen. Die wichtigste Nachrichtensendung seines kleinen Landes schickte ein Filmteam zum Training in Tel Aviv, recherchierte hinter uns her und machte uns in der Vorberichterstattung als unschlagbaren Gegner aus. Auf dem Platz hat Gavron dann aber eher etwas von Ballack. Konfrontationen geht er überraschend gern aus dem Weg.

Dass nach längeren Diskussionen sein Kollege Nachum Pachenik nach Deutschland mitkam, freute Gavron genauso wie uns. Denn Pachenik wohnt in der Westbank, ist tiefreligiös, seine Mutter überlebte ihre Internierung in Theresienstadt. Zunächst war der Lyriker empört über die profane Einladung. Nur aus Neugier sagte er zu. Als ich ihn am Flughafen willkommen hieß und bemerkte, wir würden einige schöne Tage haben, fragte er schmucklos, woher ich das wissen wolle. Und zu seinem schönen Lächeln kniff er die Augen zusammen, um mich zu fixieren.

Für die Lesung im Deutschen Theater hatte ich ein Gedicht Pacheniks ausgewählt, das den Naziblick auf ein Kind thematisiert. Das war Gavron aber zu viel. Auch die Rede, die sein Teamkollege über Angst vor deutschen Schäferhunden hielt und über das anhaltende Leid seiner Verwandten, die Frage, ob er Verrat an dem Leid beginge, indem er mit uns Fußball spielte, löste mehr Unbehagen als Zustimmung bei Gavron aus. Er wollte uns Gastgeber nicht brüskieren.

Lieber freundete er sich nach dem Spiel mit Frank-Walter Steinmeier an, der einer unserer Schirmherren war. Der Außenminister schätzt an Gavron, was im Politsprech „eine Aufforderung zur tätigen Zuversicht“ genannt wird. So sicher ist sich Gavron zwar nicht, damit richtig beschrieben zu sein, malt er doch Gegenwart und Zukunft im Gespräch oft schwarz. Berührungsängste hat er aber keine. „Von einem kulturellen Interesse eines so wichtigen Politikers können wir in Israel nur träumen. Unser Botschafter war erstaunt, dass der Termin von den Deutschen nicht aus Zeitmangel gestrichen wurde. Er hätte ihn, sagte er mir, gestrichen.“ Gavron lächelt, als er das erzählt.

An seinem eigentlich Ort, in seinem Schreiben gibt er sich jedoch gar nicht so umgänglich: Der Erzähler des Romans, Eitan Einoch, entgeht einem Attentat durch glücklichen Zufall. Er verlässt seinen Bus rechtzeitig, nachdem er mit anderen Businsassen noch diskutiert hatte, ob ein zugestiegener Araber gefährlich sei oder nicht. Dazu gehörte auch Giora Gueta, der wenige Minuten später umkommt und dadurch zum kuriosen Alter Ego Einochs wird. Nun forscht sich Einoch zuerst allein, dann mit der Freundin Guetas durch dessen undurchsichtigen Lebenswandel. Als Einoch das Rätsel um eine geheime Verabredung Guetas schließlich lösen kann, hört er folgende Geschichte: Gueta war Gelegenheitskiller und sollte den arabischen Liebhaber des jüdischen Arztes Otto Schneidermann umbringen. Als Einoch mit Gueta im Bus gesprochen hatte, befand sich der Killer auf dem Weg zur Tat.

Dieser nicht eben postmoderne, sondern sehr einfach und beinahe schon anspruchslos erzählte Roman zeigt zunächst eines: den israelisch-palästinensischen Konflikt in seiner Selbstorganisation. Man erlebt im Detail, wie der Konflikt aus jeder kleinen Erlebniszelle heraus sich fortpflanzt, wie sich aus einer Konfrontation die nächste generiert. Aussteigen ist längst schwieriger, anstrengender, mutiger, gefährlicher als weitermachen. Oder umgekehrt: Weitermachen ist das Einfachste und Naheliegendste. Nun aber setzt Gavron eine provokante Pointe, indem Schneidermann den Erzähler Einoch wissen lässt, dass Israel einen starken Mann brauche: „Lesen Sie die Biografie von Atatürk“, empfiehlt er seinem verdutzten Gegenüber, um sich dann zu ihm hinzubeugen und mit gedämpfter Stimme anzufügen: „Ich sag’ Ihnen noch was, lesen Sie ‚Mein Kampf‘.“ Was der Leser da schon weiß: Schneidermann ist ungarischer Überlebender des Holocausts.

Gavron zählt sich zu den Linken in Israel. Mit seinen Freunden Etgar Keret und Nir Baram arbeitet er öfters politisch zusammen. Vor zwei Jahren verfassten sie eine Petition der jungen Autoren gegen den Krieg im Libanon. Die älteren Autoren Amos Oz, David Grossman und Abraham Yehoshua folgten ihnen erst drei Wochen später, einige Tage bevor Grossmans Sohn im Libanon getötet wurde.

Erst vor wenigen Wochen war Gavron zu einer weiteren Lesung vor handverlesenem Publikum im Außenministerium. Dass in deutschen Gesprächen über den Roman der irre Schneidermann und sein Hitler nicht vorkommen, stattdessen immer die Symmetrie in der Darstellung des Problems zwischen Israelis und Palästinensern gelobt wird, hält Gavron für keine bewusste Entscheidung. Auf meine Vermutung, für Deutsche sei er eine erwünschte Person, weil er Israels Probleme als lokal und zeitlich isoliert darstelle und so vom deutschen Beitrag zur Geschichte ablenke, winkt er schon wieder ab: „Schneidermann“, ist er sich sicher, „ist ein weniger wichtiger Charakter als der palästinensische Attentäter Fahmi.“

Er möchte dann aber doch ausreichend klargemacht haben, wie leicht rechter Nationalismus faschistisch und gefährlich wird, egal ob es sich um jüdischen oder deutschen handelt: „Ich räume Israelis so wenig das Recht ein, ihre Politik mit dem Holocaust zu begründen, wie den Deutschen, ihn zu vergessen.“ Welche Gefühle wir bezüglich unserer Geschichte haben, interessiert ihn nicht: „Das ist eure Sache. Mein Thema ist das heutige Israel.“

Dass er sich dabei verlorener vorkommt, als Brecht es vielleicht jemals musste, hält er für gut möglich: „Ich muss nicht fliehen, tue es aber regelmäßig.“ Zehn Jahre seines Lebens hat der 1967 in Jerusalem geborene Autor in London verbracht, fünf davon in den Neunzigern, noch mal fünf von 2002 bis 2007. Dazwischen lagen Jahre in Israel und ein Jahr in Vancouver. „London ist sehr kosmopolitisch, eine Stadt, in der jeder willkommen ist, trotzdem habe ich mich dort niemals ganz zu Hause gefühlt. Ich glaube nicht, dass ich mich irgendwo anders als in Israel jemals richtig zu Hause fühlen werde.“ Natürlich klingt er dabei wie jemand, der sich eine Heimat herbeireden möchte. Er sei kein Teil einer untergegangenen jüdischen europäisch-metropolitanen Avantgarde: „Ich bin Israeli“, sagt er, „das ist etwas sehr anderes.“

Im letzten Jahr zog er wieder nach Tel Aviv, wo er eine Familie gründete. Einen längeren Aufenthalt in Deutschland kann er sich aber auch vorstellen. „Eher als Barcelona oder Paris wird meine nächste Station Berlin sein. Ich glaube, ich werde dort gut schreiben können.“ Ich wünsche es ihm und uns. Denn so verständlich seine Abgrenzungsversuche sind und so wenig man es strapazieren muss: Unsere beiden Länder können ohne vitale Beziehungen nicht auskommen. Gerne möchte man sich rational über Geschichte und Zerrissenheit seines Landes erheben und Weltbürger sein. Aber mich hat einmal die Rührung überfallen, als die Trabbis zu Hunderten in Ostwestfalen einfuhren. Damals war ich sehr überrascht, hatte ich doch nicht geahnt, dass mich das so anfassen würde. Und dann hat sich diese Situation wiederholt, als im Amateurstadion von Hertha BSC die israelische Hymne gespielt wurde und unsere Gäste mitsangen: Es ging mich noch mehr an, als ich dachte. Es ist gut, dass wir in der Generation, die sich leicht abwenden könnte, neue Freundschaften erleben.

„Wenn man ein anderes Volk kennenlernen möchte“, meinte unlängst Amos Oz, „dann sollte man den Zeitungen den Rücken kehren und die Literatur lesen, denn nur via Literatur erhält man tief gehende Kenntnis über verschiedene Völker und ihre Zivilisation. Selbst in die Schlafzimmer dringt man vor.“ Noch besser ist es aber, in andere Länder zu reisen, Leute zu treffen und darüber zu schreiben.

Die deutsche Autorenmannschaft gewann übrigens vier zu zwei, ungerechtfertigterweise wurde Gavron ein Tor aberkannt. Weil somit noch eine Rechnung offen ist, findet das Rückspiel, wenn alles klappt, im Dezember statt. Da ist es in Deutschland eh zu grau, zu nass, zu kalt und vor allem zu weihnachtlich.

Ralf Bönt lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien von ihm der Erzählungsband „Berliner Stille“ (Wallstein Verlag)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen