die jazzkolumne: Politisches Engagement in Wahlkampfzeiten
Dass es unter Jazzmusikern auch Bush-Wähler gegeben haben soll, sei, so Brad Mehldau, eine schockierende Erfahrung gewesen
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und der Wiederwahl von US-Präsident George W. Bush im November 2004 wirkte auch die amerikanische Jazzszene wie gelähmt.
In der Fachzeitschrift Jazz Times hagelte es damals Leserbriefe empörter Bush-Wähler, die sich über die zu liberalen Ansichten der von ihnen verehrten Künstler beschwerten. Er solle lieber den Mund halten und Musik machen, hieß es etwa über den Pianisten Brad Mehldau. Der 37-Jährige wird vom Jazzmagazin Down Beat als einflussreichster Musiker seiner Generation genannt.
Mehldau ist Parteimitglied der Demokraten und hatte sich im letzten Wahlkampf für John Kerry eingesetzt – das sei ihm eine Lehre gewesen, sagt er heute über sein Engagement. Dass es unter den Jazzmusikern tatsächlich Bush-Wähler gegeben haben soll, sei, so Mehldau, für ihn damals die schockierendere Erfahrung gewesen.
Auf die Frage, warum er schon vor längerer Zeit die Anti-Bush-Links von seine Webseite entfernt hat, antwortet Brad Mehldau eher vorsichtig. Er sei vor allem über die Wiederwahl Bushs 2004 enttäuscht gewesen und verunsichert darüber, was man als Künstler mit politischem Engagement überhaupt noch bezwecken könne. Für sich habe er dann beschlossen, politische Ansichten nicht mehr mit seiner künstlerischen Tätigkeit zu vermischen.
Mehldau sieht keinen Sinn mehr darin, öffentlich auf die amerikanische Regierung zu schimpfen – auch wenn viele andere das tun, sei das doch letztendlich nur viel Lärm um nichts.
Auch der Trompeter Dave Douglas hatte sich im Wahlkampf 2004 gegen die Wiederwahl von Bush engagiert und später Konsequenzen aus der Niederlage von Kerry gezogen. Er bemühe sich nun, seine Songs so zu arrangieren, dass sie wie eine soziopolitische Diskussion unter Musikern klingen, erklärt Douglas. Wenn er improvisierende Gruppen höre, inspiriere ihn das, und er sei begeistert, welche Möglichkeiten der Kooperation sich da auftun. Lieber konzentriere er sich auf sein privates Umfeld, versuche da Positives zu bewirken, wie etwa auf Nachbarschaftsebene junge Musiker zu unterstützen oder unabhängige Festival- und Label-Strukturen zu etablieren.
Und Brad Mehldau brauche sich verbal auch gar nicht zu positionieren, sagt Douglas: Aus den Turbulenzen seiner Musik ließe sich ohnehin heraushören, dass er Bush nicht mag.
Der junge afroamerikanische Pianist Jason Moran hofft bei der anstehenden Präsidentschaftswahl auf einen Wandel in der US-Politik. Auch er warnt jedoch vor allzu großen Erwartungen bezüglich Barack Obama. Dieser wäre jedenfalls nicht der erste Präsidentschaftskandidat, dessen Pläne zur gesetzlichen Krankenversicherung scheitern.
Der Jazz könnte aber ein positiver Faktor im Prozess des Wandels werden, wenn es eine größere Wertschätzung der Künste in der amerikanischen Gesellschaft und Öffentlichkeit gäbe: Jazz sei schließlich die eine große Musik, die es allen Mitwirkenden auf der Bühne erlaube, ihre Meinung unmittelbar und gleichberechtigt auszudrücken.
Dass er 2004 mit dem „Dr. Alaine Locke Award“ für seine herausragenden Leistungen in der afroamerikanischen Community ausgezeichnet wurde, macht den 39-jährigen James Carter immer noch stolz. Seit Mitte der Neunzigerjahre zählt er zu den führenden Jazzsaxofonisten.
Nun hofft er auf den ersten schwarzen US-Präsidenten und darauf, dass Kunst und Musik wieder mehr in den Schulen unterrichtet werden. Denn viel zu lange seien die Künste in den Lehrplänen vernachlässigt worden. Das einzig Bedeutende auf dem Gebiet der Kultur, mit dem Schüler konfrontiert würden, sei der Sportunterricht, und das sei für ihre Erbauung zu wenig.
Der afroamerikanische Trompeter Roy Hargrove hält sich dagegen ausdrücklich mit politischen Statements zurück. Für die politisch engagierte Soulsängerin Eryka Badu spiele er immer gerne. Sonst gebe es nichts, was er kommentieren möchte. Er selbst unterstütze generell keine Politiker in Wahlkämpfen, weil er nicht glaubt, dass er damit etwas beeinflussen könnte. Die Wiederwahl von Bush habe ihm gezeigt, dass alles schon vorab festgelegt gewesen sei; sonst wäre Bushs Sieg sicher nicht möglich gewesen. Warum sollte er, Roy Hargrove, also für einen Politiker spielen, wenn er gar nicht wirklich an ihn glaube?
Dianne Reeves hingegen nutzt ihre Konzerte und Interviews in diesem Jahr intensiv, um für Barack Obama zu werben. Die afroamerikanische Sängerin sieht in der Tatsache, dass Obama von vielen Weißen unterstützt wird, gar schon den Traum von Martin Luther King Jr. Wirklichkeit werden. Dass es nicht mehr um die Hautfarbe gehe, sondern um Inhalte, glaubt sie. Dass habe sie schon gemerkt, nachdem der Hurrikan „Katrina“ New Orleans zerstört hatte. Die US-Regierung habe die Stadt damals vernachlässigt, private Initiativen jedoch brachten Nahrung und Trinkwasser und organisierten Unterkünfte für notdürftige Familien. Auch der 11. September 2001 habe ihrer Meinung nach die Menschen zusammengebracht, doch er bewirkte einen Zustand der Angst. Nach und nach seien die Freiheitsrechte eingeschränkt worden.
CHRISTIAN BROECKING
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen