Tür zur EU offen

Die EU-Außenminister schätzen Serbiens Chancen für eine engere Anbindung an die EU nun als gut ein

BERLIN taz ■ Erleichterung und Genugtuung, sogar überschwängliche Freude und Jubel kennzeichnen die ersten Reaktionen europäischer Politiker auf die Festnahme von Radovan Karadžić. Die EU-Außenminister seien vor Freude in die Luft gesprungen, sagte der französische Außenminister und EU-Ratspräsident Bernard Kouchner vor einem Treffen mit seinen Kollegen in Brüssel. „Darauf haben wir 13 Jahre gewartet.“ Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier gab sich erleichtert. „Ich bin wirklich froh“, sagte Steinmeier. „Ich glaube, das ist ein Meilenstein in der Geschichte der Beziehungen zwischen Serbien und der Europäischen Union.“ Die politisch weitgehendste Erklärung gab EU-Chefdiplomat Javier Solana ab. Er attestierte der serbischen Regierung die „uneingeschränkte Zusammenarbeit“ mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. „Wir müssen mit dem Chefankläger des UN-Tribunals reden, und ich bin sicher, dass er sagen wird, dass es eine uneingeschränkte Zusammenarbeit gibt“, sagte Solana. UN-Chefankläger Serge Brammertz gab sich zurückhaltender. Er begrüßte die Festnahme aber als „Meilenstein“ in der Zusammenarbeit zwischen Serbien und dem Tribunal.

Die vollständige Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof in Den Haag hat die EU zur Bedingung gemacht, um das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen Serbien und der EU, das im April unterzeichnet worden ist, in Kraft setzen zu können. Es würde die Tür für Verhandlungen über eine Aufnahme Serbiens in die EU öffnen. Genau in diesem Sinne wollte der serbische Außenminister Vuk Jeremić die Festnahme Karadžić’ interpretiert wissen. Die erst seit zwei Wochen amtierende neue Regierung in Belgrad meine es „mit der europäischen Zukunft“ für Serbien „sehr ernst“, sagte Jeremić nach seiner gestrigen Ankunft in Brüssel. „Wir wollen Mitglied der EU sein, eine regionale Kraft für die regionale Stabilität“, so Jeremić. Ganz in diesem Sinne verstand offensichtlich auch EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn die Verhaftung Karadžić’. Sie zeige, „dass die neue Regierung Serbiens entschlossen ist, eine neue Seite aufzuschlagen, die nationalistische Vergangenheit hinter sich zu lassen und eine europäische Zukunft zu suchen“.

In der offiziellen Erklärung der EU-Außenminister vom Nachmittag ist die Sprachregelung diplomatisch zurückhaltender. Die neue Regierung in Belgrad wolle „zum Frieden und zur Stabilität in der Balkanregion beitragen“, heißt es. „Der Rat hat die serbische Regierung ermuntert, auf diesem Wege fortzufahren.“ Serbien könne schneller zu einem EU-Beitrittskandidaten werden, wenn es alle Voraussetzungen erfülle. Der Konflikt zwischen Serbien und der EU um das Kosovo findet keine ausdrückliche Erwähnung.

Am Vormittag hatten mehrere EU-Politiker die jetzt geschaffene Chance auf eine dauerhafte Versöhnung in der Region hervorgehoben. So lobte Bundesaußenminister Steinmeier Serbiens Präsidenten Boris Tadić und dessen neue Regierung, weil sie es ernst meinten „mit Stabilität für Serbien, mit innerer Versöhnung für Serbien“. Erweiterungskommissar Olli Rehn sprach von „einem historischen Augenblick für die internationale Justiz und die Versöhnung auf dem westlichen Balkan“. Der ehemalige Hohe Repräsentant der UNO für Bosnien-Herzegowina, Christian Schwarz-Schilling, bezeichnete die Verhaftung gar als „Erlösung“. In Serbien werde nun ein „Reinigungsprozess beginnen, der für die Stabilisierung der Region „bitter nötig“ sei, sagte Schwarz-Schilling im Sender n-tv. Auch der Präsident der parlamentarischen Versammlung des Europarats, Lluís Maria de Puig, sagte, endlich könne in der Region Gerechtigkeit hergestellt werden. Die Entwicklung sei ein „eindeutiges Zeichen der Festigung der Bindung Serbiens an die europäischen Institutionen“.

Entgegen der positiven Äußerung Solanas über eine „vollständige Zusammenarbeit“ Belgrads mit dem Tribunal in Den Haag verlangten mehrere europäische Außenminister jedoch weitere Anstrengungen von Serbien, um auch Karadžić’ Militärchef Ratko Mladić dingfest zu machen. „Wir hoffen natürlich, dass auf diesem Wege Serbien weiter nach Kriegsverbrechern sucht, die bisher noch in Freiheit sind“, sagte Frank-Walter Steinmeier.

Die US-Regierung nannte die Verhaftung Karadžić’ einen Tribut an die Opfer der Kriegsgräuel. Ein bedeutender Verbrecher sei „von der Bühne entfernt“ worden, sagte der frühere US-Balkanbeauftragte Richard Holbrooke. Karadžić sei der „Ussama Bin Laden Europas“. GB