Stullen im Paradies

Frikadelle: Sollte selbst gemacht sein. Das macht Eindruck. So geht’s: Man kann man auf Ei oder Semmel verzichten, wenn mindestens ein Drittel der rohen Hackfleischmasse aus Rindfleischhack besteht. Allerdings sollte auch noch etwas Lamm oder Schwein enthalten sein, da die Frikadellen sonst zu fest werden. In die Masse verschiedene frische Kräuter oder zusätzlich frischen Ingwer reiben, sie zu kirschkleinen Kügelchen formen, kurz durchgaren. Schmeckt wunderbar mit Sauerkirsch-Chutney.

Sandwichbeläge: Hart gekochtes Ei, Räucheraal, Avocado, Cheddar, junger Spinat; Mayonnaise und Kresse; Pesto, Olivenpaste, Avocadopüree, Außerdem: Pellkartoffeln und Crudités: Rohes Gemüse zum Dippen: Möhren, Zucchini, Salatgurke, Frühlingszwiebeln, Cocktailtomaten. So geht’s: Gemüse waschen, schälen, vierteln. Cocktailtomaten nur waschen. Dazu Dips: Aioli; Crème fraîche mit Kräutern; Dill-Senf-Dip; Grüne Soße. TILL EHRLICH

Zum Ausflug gehört das mobile Essen. Ob selbst geschmierte Brote am Baggersee, Frikadelle und Ei im Wald oder Grillwürste im Park: Die Natur ist das Wohnzimmer des Sommers

VON TILL EHRLICH

Jeder kennt das aus der Kindheit: Mutter hat keine Zeit zum Kochen, stattdessen verwöhnt sie einen mit geschmierten Stullen. Für diesen Zweck hält jede Erziehungsmacht probate Mittel im Kühlschrank bereit, um den ungeduldig fordernden Nachwuchs zu bändigen oder zu verführen: delikate Aufstriche, Saucen – salzig, süß, unvergesslich.

Und auch das, was ein Schichtarbeiter von der Hausmutter einst aufs Pausenbrot geschmiert bekam, war ein Teil jener Kultur, aus der sich bis heute ein längst unüberschaubares Sortiment kalter Aufstriche – bei Edeka wie im Naturkostladen – entwickelt hat. Am Anfang wird es noch reine Resteverwertung gewesen sein, die auf gehaltvollem Fett basierte, das beim Kochen und Schmoren anfiel und penibel abgeschöpft und kalt gestellt wurde. Kaltes Gänsefett, Griebenschmalz, Bratenfett.

Daraus wurde dann die Gänsefettstulle, die Griebensemmel oder das Bratlfettbrot – allesamt geniale Klassiker des bäuerlichen und proletarischen Snacks. Das Bratlfett, erkalteter Schweinsbratensaft, ist trotz seiner kalorienschwer triefenden Fettigkeit noch heute besonders in Ostösterreich ein Muss: Bei einem richtigen Imbiss im Freien oder beim Heurigen darf das Brot mit Bratlfett kaum fehlen, nicht nur weil Fett ein appetitanregender Geschmacksträger ist. Besonders mit Salz, süßscharfem Paprikapulver, rohen Zwiebelringen, Tomaten, Gurke und frischer Paprika bildet es die beste Grundlage für reueloses Trinken. Das weckt den Appetit und hebt die Stimmung.

Waren es anfangs noch Reste, wurden die Brotscheiben bald mit Speck, Wurst und roher Zwiebel belegt. Später kamen würzige Pasten aus püriertem Käse und Gemüse dazu, das Brot wurde immer raffinierter beschmiert, doch es blieb ein Imbiss, der bis heute ein kalter Ersatz für heiß Gekochtes ist, eine Reminiszenz an das Essen zu Hause. So ist es auch, wenn man sich mit Freunden im Freien trifft, sich auf einer Wolldecke niederlässt und diese mit beiläufiger Selbstverständlichkeit zur Tafel macht, indem man sie mit Snacks bedeckt.

Das Campieren im Freien auf der Decke hat auch eine nomadische Herkunft. Die Decke spielt an auf den Teppich der Araber – das Symbol des Paradieses. Deswegen betritt man ihn auch nicht mit Schuhen. Und deshalb sind die meisten Teppichmotive aus der faunischen und floralen Welt entwickelte Ornamente und Ranken, Vögel, Gazellen oder Blüten. Nomaden ziehen in ihrer Heimatlosigkeit rastlos ins Nirgendwo, breiten unterwegs die Teppichdecke aus, als Himmel auf Erden.

Beim Essen auf dem Teppich werden die Speisen mit flinken Fingern so geschickt in die Soßen und Pasten getunkt, dass es nie kleckert. Jeder Soßentropfen wird elegant aufgefangen, der Teppich bleibt unbefleckt. Das sieht anmutig aus, zum Tunken sind neben Fladenbrot saugende Speisen beliebt, wie Couscous oder Reis. Das Gegenstück zum Teppich ist der Baldachin, der Betthimmel, gewölbt wie ein Sternenhimmel. Frühstücken im Bett ist Speisen im Jenseitigen.

Zurück zum diesseitigen Campieren auf der Wolldecke bei einer Runde Skat: der Snack dazu muss nicht immer kalt sein. Grillen passt auch, solange man nicht in ein verspießertes Grillprozedere verfällt mit Bratwurstschnecken und Fleischbergen minderwertiger Schweinesteaks, die meist noch wie Blutkonserven in roten oder senfgelben Marinaden schwimmend eingeschweißt sind. Bei guter Fleischqualität sind Marinaden überflüssig. Wenn’s doch Marinieren sein muss, dann genügt das Einmassieren des Fleisches mit einem ordentlichen Olivenöl vollkommen, das Öl besitzt die Qualität, dem Fleisch eine mürbende Würze zu schenken, ohne dessen Eigengeschmack zu töten.

Eine schöne Alternative zu den peinlichen Grillorgien ist das improvisierte Grillen kleiner Snacks und Häppchen. Und zwar ohne Aufwand und nervige Vorbereitung. Man kann der routinierten Grillerei neue Impulse geben, wenn man konsequent abrüstet. Wunderbar ist etwa ein Speckbraten am Spieß auf einer Wanderung, der in jeder Jahreszeit und überall dort funktioniert, wo man grillen oder ein Feuer machen kann. Man schneidet sich eine hölzerne Rute zurecht, spitzt sie an, schält die Rinde ab, spießt Speckscheiben auf, die man vorher fein eingeschnitten hat.

Wenn man den Spieß über die rote Glut hält, kräuselt sich der Speck in der Hitze und geht auf wie eine Chippendale-Rose. Hält man jetzt den knusprigen Spieß über ein Stück Weißbrot, tropft das salzige Fett aufs Brot ab. Das lässt sich noch steigern, wenn man anstatt des Specks eine sanft geräucherte Knoblauchwurst im Ganzen längs aufspießt und in die Flamme hält. Dabei bildet sich herrlicher Saft, der von dem Grillklassiker, der in der heißen Asche weich geglühten und von Folie geschützten Kartoffelknolle, vorzüglich aufgesogen wird. Perfektionisten bevorzugen hier mehlige Kartoffeln, da sie das Fett am Besten aufnehmen.

Auch andere Klassiker wie hart gekochte Eier, kalte Frikadellen, pikante Chutneys oder belegte Sandwichs sind es wert, zum Snack im Paradies eingepackt zu werden. Wenn es auch nicht immer der Himmel auf Erden ist, schmeckt es wenigstens ein bisschen wie bei Muttern oder wie man es gerne gehabt hätte bei der Mutter.

TILL EHRLICH, Jahrgang 1964, serviert monatlich die taz-Sättigungsbeilage