„Wir haben sowieso ein Problem“

Seit der Bergsteiger-Entführung sehen sich kurdische Organisationen in Deutschland mehr denn je der Nähe zum Terrorismus verdächtigt. Ein Gespräch mit dem Bremer Yek Kom-Sprecher Yuksel Koc

YUKSEL KOC, lebt in Bremen und ist Mitglied im Vorstand von Yek-Kom, der Föderation kurdischer Vereine in Deutschland.

INTERVIEW CHRISTIAN JAKOB

taz: Herr Koc, haben kurdische Organisationen in Deutschland seit der Bergsteiger-Entführung ein Akzeptanzproblem?

Yuksel Koc: Wenn Kurden sich als Kurden organisieren, haben sie in Deutschland sowieso ein Akzeptanzproblem. Der deutsche Staat setzt die Repression der Türkei gegen die Kurden stärker fort, als jedes andere europäische Land.

Die Entführung dreier Deutscher dürfte da kaum als vertrauensbildende Maßnahme gewirkt haben.

Diese Entführung war eine Aktion einer einzelnen, lokalen Gruppe. Die PKK-Führung hat sich davon ausdrücklich distanziert. Und die kurdischen Organisationen in Deutschland haben das in einer Pressekonferenz auch getan.

War die Entführung strategisch oder moralisch falsch?

Es ist unsere erklärte Politik, dass die Kurdenfrage allein auf dem Wege des friedlichen Dialogs zu lösen ist. In der öffentlichen Wahrnehmung werden aber alle Kurden für diese Aktion verantwortlich gemacht.

Was bedeutet das für Sie?

Der Krieg ist keine Lösung, deswegen appellieren wir an den türkischen Staat, den Dialog aufrecht zuerhalten. Für uns ist die Lage hier schwierig. Kurden sind nach Türken die zweitgrößte Migrantengruppe in Deutschland. Jede Nationalität hat hierzulande, ganz selbstverständlich, ihre Vereine und Repräsentanten.

Sie doch auch.

Ja, aber kurdischen Verbände und Kurden werden pauschal kriminalisiert. Man wirft praktisch allen kurdischen Organisationen vor, die PKK zu unterstützen. Und so setzt sich vieles von dem hier fort, was in der Türkei Praxis ist.

Sie meinen das Verbot des kurdischen Senders Roj TV?

Das ist ein weltweit zu empfangender kurdischer Sender mit Sitz in Dänemark. Die dänische Regierung hat ihn immer wieder überprüft und festgestellt, dass es ein ganz normales Medium ist. Er ist außer Deutschland und der Türkei auf der ganzen Welt legal.

Das Argument lautete, der Sender betreibe Propaganda für die PKK – und die ist in Deutschland verboten.

Roj TV ist kein PKK-Sender, sondern ein kurdischer Sender. Natürlich berichtet er über die PKK, es wäre absurd, wenn der einzige kurdische Sender das nicht täte. Aber Al-Jazeera etwa dokumentiert ständig Äußerungen der Al-Qaida. Niemand will deswegen Al-Jazeera verbieten.

Al-Jazeera betreibt aber keine Propaganda

Ich stelle Ihnen eine Frage: Was würde passieren, wenn die taz morgen mit der Schlagzeile „Deutschland den Deutschen“ aufmachen würde?

Wenn es ernst gemeint wäre, gäbe es vielleicht ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung.

Die größte türkische Zeitung Hürriyet hat den Satz, „die Türkei gehört den Türken“ – und das ist hier eindeutig völkisch gemeint – seitdem es sie gibt jeden Tag in ihrer Kopfzeile. Ihr Besitzer, der Dogan-Konzern kontrolliert, ähnlich Berlusconi in Italien, viele weitere Medien. Die türkischen Medien sind gleichgeschaltet, was das Aufbauen des Feindbilds der Kurden angeht.

Inwiefern?

Jeden Abend in den Nachrichten sehen sie auf allen Kanälen dasselbe: Stundenlange Berichte über tote türkische Soldaten und Meldungen von angeblichen kurdischen Terroranschlägen. Das türkische Volk kriegt das jeden Tag zu sehen – da ist es kein Wunder, dass so viele uns Kurden hassen.

Man kann kaum erwarten, das türkische Medien nicht darüber berichten …

„Berichten“ trifft es leider überhaupt nicht. Der Konflikt wird in der Türkei nicht nur völlig einseitig dargestellt, es findet auch ein Propagandakrieg statt. Und deswegen ist Roj TV so wichtig.

Warum?

Mit einer mehrtägigen Mahnwache auf dem Bremer Marktplatz haben in dieser Woche kurdische Organisationen gegen das Verbot des Fernsehsenders Roj TV protestiert. Dieses hatte der Bundesinnenminister mit der Nähe des Senders zur PKK begründet. Kurdische Vereine sagten, die legal aus Dänemark sendende TV-Station sei ihr „kultureller Nerv“. In Bremen verhinderte die Polizei nun die öffentliche Vorführung von Roj-Sendungen. Das Roj-Verbot soll Auslöser für die Entführung der drei deutschen Alpinisten am Berg Ararat durch ein PKK-Kommando gewesen sein.  CJA

Weil der türkische Staat systematisch Desinformation einsetzt, um den Konflikt anzuheizen. Nur zwei Beispiele: Vor einiger Zeit gab es in Semdilli einen Anschlag auf eine Buchhandlung, mehrere Menschen starben, andere wurden verletzt, es hieß, es sei ein kurdischer Anschlag. Die Täter wurden gefasst, es waren türkische Geheimdienstler, die man wieder laufen ließ. Die türkischen Medien haben dies verschwiegen.

Und das hat Roj TV aufgedeckt?

Roj TV hat als erster Sender in der Türkei korrekt darüber berichtet, später auch das heute-journal. Und diese Woche wurden in Bingöl zwei Jungen getötet, wieder räumte der türkische Staat erst auf öffentlichen Druck ein, dass Paramilitärs die Täter waren. Roj TV hatte dies sofort berichtet.

Was heißt das Verbot für Deutschland?

Wir haben am Mittwoch eine Mahnwache auf dem Bremer Marktplatz abgehalten. Dabei wollten wir Videoaufzeichnungen von Roj TV-Sendungen zeigen. Doch die Polizei kam und hat das verboten. Es ging gar nicht darum, was in den Sendungen zu sehen war. Man darf sie allein deswegen nicht öffentlich zeigen, weil Roj TV sie produziert hat. Das ist eine ungeheure Ungleichbehandlung.

Warum?

Die deutsche Regierung spricht immer von Integration und Kulturförderung. Der WDR und der RBB produzieren mit Steuergeldern türkischsprachige Programme für MigrantInnen....

...das lässt sich kaum vergleichen...

Doch. Roj TV ist das einzige Kulturprogramm auf kurdisch – in der ganzen Welt. Radio Multikulti und so, das sind gute Sachen, wir sind nicht dagegen. Aber wennschon multikulturelle Gesellschaft, dann bitte für alle. Uns würde es schon reichen, wenn kurdische Medien nicht kriminalisiert würden.