Der größte Trick von allen

Gruppenbild mit Dame: Die amerikanische Künstlerin Collier Schorr erfindet die Gemeinschaftsausstellung neu. Dabei ist „Freeway Balconies“ in der Deutschen Guggenheim eine zärtliche Hommage an die Performance und den Körper in der Kunst

VON CLAUDIA FUNKE

Der weiße Schaum bildet Blasen und rinnt den Seifenblock hinab, vor dem Aki Sasamoto kniet. Immer wieder greift die japanische, in New York lebende Künstlerin in einen Wasserbehälter und reibt den Quader unentwegt mit den Händen. Sie sitzt dabei in einem Schaufenster und ist dem Blick der Zuschauer ausgesetzt. Die filmische Aufzeichnung der Aktion vermittelt den Eindruck von Intimität, Sexyness und Zwang, erweckt Assoziationen an endlose Reinigungsrituale verbunden mit Erneuerung.

Sasamotos Arbeit ist ein Fragment der Ausstellungscollage, die die amerikanische Künstlerin Collier Schorr in der Deutschen Guggenheim Berlin unter dem Titel „Freeway Balconies“ schuf. Die Wendung zitiert den Beatdichter Allen Ginsberg, der auf die US-amerikanische Befindlichkeit in den 1960er-Jahren anspielte, als die Identität der USA von Spektakel und Voyeurismus, Krieg, Protesten, Demonstrationen und Hollywood geprägt war. Die Kunst erfand unterdessen die Performance, die live vor Publikum stattfand.

Als Kuratorin der Ausstellung vereinigt Schorr, die auch als Kritikerin und Lehrerin arbeitet, die Werke 19 amerikanischer KünstlerInnen zu einem losen Netz aktueller Fragen zur Konstruiertheit von Identität. Ihre eigenen Arbeiten integriert sie in dieses Geflecht. Viele der ausgewählten Fotografien, Videos, Malereien und Skulpturen, die wie Ausschnitte oder Samples wirken, zitieren Berühmtheiten aus dem Film, der Musik, der Mode und den Medien. Allerdings spiegelt sich Gesellschaftliches heute scheinbar im persönlichen, individuell-subjektiven Erleben wider: Die Nahsicht in vielen Werken suggeriert, in private Schauplätze hineinzuplatzen.

Matt Saunders malt ein junges Paar, dessen Konstellation Fremdheit, Unschuld und Zärtlichkeit ausdrückt. Leigh Ledare lotet sein Verhältnis zur Mutter aus und fotografiert sich mit ihr, körperlich an sie gefesselt, als Liebender und Kämpfender. Francesca Woodman inszenierte in ihren Fotografie ihren Körper in seiner verletzlichen Flüchtigkeit. David Altmejds übergroße Skulptur „The Guide“, 2008, ist mit zerborstenen Spiegeln bedeckt. Die Zersplitterung in tausend Teile, die in den Raum reflektieren und die Umgebung in sich aufnehmen, ist Sinnbild für die tausend Facetten möglicher Identität im Austausch mit der sozialen Umwelt.

Mit Werken von Bruce Naumann, Yvonne Rainer und Adrian Piper, Protagonisten der Kunst der 60er-Jahre, als die Selbstbefragung der eigenen Wahrnehmung in der Performance begann, schlägt Schorr einen Bogen zwischen den Pionieren des Rollenspiels und den heutigen Aneignern immer neuer Selbst- und Rollenbilder. Parodie, Verfremdung und Ironie, Posing und Kostümierung sind dabei die Mittel, die sowohl im privaten Rahmen als auch im öffentlichen Kontext eingesetzt werden. Mit ihnen stellen die Künstler gesellschaftliche Normen infrage, ermöglichen neue Sichtweisen auf scheinbar Vorgegebenes und implizieren somit eine politische Dimension.

Dabei spielen konzeptuelle Strategien, das Spiel mit Referenzen, mit Sehnsüchten und Projektionen eine entscheidende Rolle. „Das ist vielleicht der größte Trick von allen: ein Leben lang eine Pose einzunehmen, die sich immer nur fast, doch nie ganz mit dir deckt“, stellt Schorr fest.

Ihre eigenen Multimediaarbeiten sind geprägt durch die Appropriation Art der 80er-Jahre: Künstler wie Richard Prince deklarierten vorgefundene Bilder aus Kunst, Werbung und Medien zu eigenen Werken und dekonstruierten sie durch diese Form des Inbeschlagnehmens. Judith Butler formulierte 1990, dass (Geschlechts-)Identität konstruiert ist und durch performative Akte stets neu definiert wird. Schorr lässt Jugendliche, die sie während ihrer zahlreichen Aufenthalte in Deutschland kennenlernte, in ausgeliehenen Militäruniformen der US Army, der Bundeswehr und Nazizeit posieren. Sie stellt die Frage, inwiefern die Verkleidung als Soldat das Identitätsgefühl verändert und ob die Maskerade einen kritischen Moment freisetzt.

Über eine Wand verstreut Schorr zahlreiche Bilder von Frauen: Eigene Aufnahmen vermischen sich mit Abbildungen der Werke von Georgia O’Keeffe, Fotos der Künstlerin Sarah Lucas, von Kate Moss und der Schauspielerin Brooke Shields. Richard Prince zitierte das Nacktfoto, das Shields im Alter von zehn Jahre zeigt und neben einem Auftritt in „Pretty Baby“ ihr Lolita-Image prägte. Schorr wiederum fotografierte Shields als sportlich-muskulöse coole, queere Ikone. Sie verwandelt das Stereotyp der Schauspielerin und verleiht ihr eine neue Identität, nach ihrem Motto: „Könnte alles anders sein, wenn mein Bild von mir das Bild einer anderen wäre?“

Deutsche Guggenheim Berlin, Unter den Linden 13–15, bis 21. September. Katalog (deutsch/englisch) 21 €