Allein in St. Peter-Ording

Betül Kocak ist 17 Jahre alt und besucht die zweiwöchige Hochbegabtenförderung „Juniorakademie“ in St. Peter-Ording. Mit ihrem Migrationshintergrund gehört sie dort zu einer kleinen Minderheit – noch

VON KÜBRA YÜCEL

Die 16-jährige Julia Fichte spricht von weltpolitischen Themen, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. „In unserem Kurs beschäftigen uns mit dem Bevölkerungswachstum, der Nahrungsproduktion und auch mit der Bodenversalzung“, sagt sie, und dass sie sich sich sehr für Politik interessiere, ja eigentlich für alles. Julia nimmt an dem Kurs „Probleme der künftigen Welternährung“ teil, der Teil der Juniorakademie in St. Peter-Ording ist, einer Hochbegabtenförderung der „Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind“ (DGhK).

Hochbegabtenförderung erinnert schnell an Elite-Förderung. Doch von „Elite“ will Antje Kalinowski, Vorstandsmitglied und Pressesprecherin der DGhK, nichts wissen. „Wir fühlen uns weder elitär noch verwenden wir diesen Begriff“, sagt sie. Kein Kind dürfe verloren gehen, jedes müsse gefördert werden – Hochbegabte wie Benachteiligte. Die Förderung von Hochbegabten käme letztlich der ganzen Gesellschaft zugute.

Daher hat der Verein nun zum dritten Mal in Kooperation mit dem Bildungsministerium Schleswig-Holsteins und der Hamburger Schulbehörde die Juniorakademie gestartet. Die Nordmetall-Stiftung übernimmt einen Großteil der Kosten. Zwei Wochen lang forschen, lernen und diskutieren 97 hochbegabte Jugendlichen aus Hamburg und Schleswig Holstein. Die Themen reichen von Ökologie über Politik bis Wirtschaft, von Theater über Pflanzenproduktion bis Relativitätstheorie. Die Jugendlichen der 8. bis 10. Klasse müssen entweder von ihrer Schule vorgeschlagen werden oder sich auf Eigeninitiative bewerben.

Genau hier setzt auch die Kritik an der Begabtenförderung an: Das Potential von Jugendlichen aus Migranten- oder sozial schwachen Familien wird nur selten von Lehrern entdeckt, sie werden kaum über Begabtenprojekte informiert. „Das ist genau unser wunder Punkt“, sagt Kalinowski. Über 40 Prozent der Hamburger Schüler haben einen Migrationshintergrund, „dieser prozentuale Anteil spiegelt sich in der Juniorakademie leider nicht wieder.“ Bei den Teilnehmern sind es nur acht bis zehn Prozent, inklusive derer, die Hartz IV beziehen. „Wir haben uns da viele Gedanken gemacht. Unser Programm soll auch gezielt an Migrantenvereine weitergetragen werden“, sagt Kalinowski. Doch dies müsse von den Behörden umgesetzt werden.

Dann könnte es mehr Jugendlichen wie Betül Kocak aus Wilhelmsburg gehen. Die 17-jährige Gymnasiastin spricht begeistert von ihrem Kurs „Zahlentheorien“ und erzählt von den mathematischen Theorien von Euler, Fermat oder Wilson. Was sie auf der Akademie lerne, sei überhaupt nicht vergleichbar mit dem Matheunterricht in der Schule. „Das Niveau ist ganz anders: Hier lernen wir drei bis vier Theorien an einem Tag – und zwar aus dem dritten Semester des Mathestudiums.“

Am heutigen Samstag ist schon die Abschlussfeier. Dann werden Julia und Betül die Ergebnisse ihrer Projektarbeit präsentieren. Betül macht danach weiter: Zusammen mit Julia will sie sich für ein Juniorstudium an der Universität Hamburg bewerben und ein Problem aus der Welt schaffen: „Ich ärgere mich ein wenig, dass ich nicht früher über Projekte und Förderprogramme informiert worden bin“, erzählt sie. Gleich wenn die Schule wieder anfängt will sie ihre Lehrer ansprechen und den Mitschülern von den vielen Projekten erzählen. „Von mir aus, kann es die ganzen Sommerferien so weitergehen“, sagt Betül und lacht.