1-2-3 im Langsamschritt

Die Tanzgruppe Herde trifft sich jeden Freitag in Hamburg-Wandsbek. Dann heißt es schwofen, mit und ohne Handicap. Die Gruppe gibt es seit 30 Jahren, manche sind von Anfang an dabei. Nur bei den ehrenamtlichen Tanzpartnern hakt es

Tanzen im Rollstuhl:Rollstuhltanzgruppe sowie Integrative Sportgruppen in allen Sportarten und für alle Altersgruppen, Turn- und Sportgemeinschaft Bergedorf e.V, Postfach 800827, 21008 Hamburg, ☎ 040-7254950, www.tsg-bergedorf.de Eine weitere Rollstuhltanzgruppe gibt es bei der Tanzschule Ring Drei, Poppenbütteler Weg 90, 22339 Hamburg, ☎ 040-5386444, www.ring3.de

Tanzen für geistig und körperlich behinderte Jugendliche:Jugend-Spezial-Club, in dem die Jugendlichen zu aktueller Musik leichte Schritt-und Figurenverbindungen erlernen: Tanzschule Die2, Überseering 25, 22297 Hamburg, ☎ 040-6300000, www.die2-hamburg.de TAZ

VON RABEA WACHSMANN

Immer wieder freitags wird im Saal der Tanzschule Buck das rote Tanzlicht angeknipst, die ChaChaCha Platte aufgelegt und der Viervierteltakt eine Spur langsamer gedreht. Los geht‘s, unter der Diskokugel drehen die Paare der Tanzgruppe Herde ihre Kreise.

Die Tanzpaare sind Menschen mit und ohne Behinderung, teils tanzen auch behinderte Paare zusammen. „Hier haben sich sogar schon Liebespaare gefunden“, erzählt Karla Lewerendt. Die Mutter der 46-jährigen Ute mit Down-Syndrom betreut die Tanzgruppe Herde. Mutter und Tochter sind von Anfang an dabei, seit 1979. Die Tochter als Tanzende und die Mutter zunächst als Begleitung der Behinderten auf den Hin- und Rückwegen zum Kurs.

Momentan besteht die Gruppe aus 24 Tanzenden, die meisten mit Down-Syndrom. Andere sind Spastiker oder Epileptiker. Eine eingeschworene Gemeinschaft hat sich in den Jahren gebildet, viele sind seit fast 30 Jahren dabei. „Sie sind todunglücklich, wenn sie Freitags nicht kommen können oder gar wegziehen“, sagt Karla Lewerendt. Die ganze Woche werde auf den Freitag hingefiebert und sich schick gemacht.

Die Männer und Frauen lernen nicht nur tanzen, sie werden vor allem eins, selbstbewusster. „Auf Familienfesten können sie jetzt mittanzen und nicht mehr nur herumzuhopsen“, sagt Lewerendt. Beim Tanzen führen meistens ehrenamtliche Tanzhelfer die Behinderten. Auch von denen sind einige seit Bestehen der Gruppe aktiv dabei. Allerdings sind Neuzugänge unter den Ehrenamtlichen momentan selten. „Die Zahl der Tanzhelfer ist sehr eingeschrumpft, die Gruppe ist über jeden Tanzpartner dankbar, ob der 17 oder 70 ist spielt keine Rolle. Wir würden uns über weiteren Zuwachs sehr freuen“, sagt Lewerendt.

Das volle Programm wird durchgetanzt, vom Discofox bis zum irischen Stomp-Tanz. Den Unterricht leitet die Sonderpädagogin Aglaia Kaphengst, auch sie ist langjähriges Mitglied. Noch als Studentin begann sie in der damaligen Tanzschule Herde die Gruppe zu leiten. Blues war damals der allererste Tanz, „weil so schön langsam“, sagt Lewerendt.

Die Behindertentanzgruppe hat sich nach dem Namen von Tanzlehrer Walter Herde benannt. Er hatte in seiner damaligen Tanzschule die Gruppe ins Leben gerufen. Walter Herde, Bundesverdienstkreuzträger für seine Verdienste auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Integration, hat mittlerweile seine Tanzschule aus Altersgründen verkauft. Bis dato war die Saalmiete für die Gruppe kostenfrei. Der neue Betreiber wollte eine Raummiete – für die Gruppe unbezahlbar. Die Tanzgruppe Herde stand vor dem Aus, bis sie schließlich von der Tanzschule Buck in Wandsbek aufgenommen wurde.

Im nächsten Jahr wird das 30-jährige Bestehen gefeiert. Da soll es natürlich feierlich zugehen. Ein schöner Ball in schickem Ambiente ist geplant. Diesen Herbst wird schon mal beim Abschlussball im Hamburger Congress Centrum mitgetanzt. „Das ist genau unser Ziel, das die Tanzenden sich auf festlichem Boden selbstbewusst bewegen können“, sagt Lewerendt. Für den Epileptiker in der Gruppe ist die Aufregung bei den Abschlussbällen oft zu groß. „Er ist so nervös, dass er schon mal vor dem Paar-Einlaufen umgefallen ist“, sagt Lewerendt. Die anderen seien zwar auch übernervös, aber der Abschlussball bilde den Höhepunkt des Jahres. Dann werde stolz die neue Abendgarderobe präsentiert.

Momentan ist Sommerpause, aber das Telefon steht bei Karla Lewerendt schon jetzt nicht mehr still. Wann es denn endlich wieder losgehe, fragen die Teilnehmer ungeduldig. Ab September ist es wieder soweit. Dann heißt es wieder schwofen – das volle Programm.