berliner szenen Sensible Filmzeitmesser

Das Bier

Heutzutage kann man doch ohne Bier nicht mehr ins Kino gehen. Dabei ist der Film nicht mal das größte Hindernis. Obwohl ich zu spät bin und die Saaltüren bereits zu, laufe ich den Gang noch einmal herunter, um das Bier zu holen. Es ist ein blöder Moment, wenn man in den verdunkelten Zuschauerraum tritt – und alle sehen, was man selbst nicht sieht.

Beleuchtete Stufen sind Luxus und darum bin ich schon froh, wenn ich mich nicht neben einen „Verrückten“ setze. Einmal saß ich neben Martin Sonneborn, und als ich es merkte, war ich zwei Stunden nur damit beschäftigt, leise zu schlucken. Wer war jetzt der Verrückte? Regelmäßig bricht mir so der Schweiß aus.

Neben dem Mann im fleischfarbenen Neoprenanzug setzte ich mich lieber nicht. Darum schiebe ich mich möglichst lässig wieder rückwärts aus der Sitzreihe hinaus. In der Reihe vor ihm zum Sitzen gekommen, schiele ich dann doch ab und an auf die auffälligen Goldketten, die er um den Hals gelegt hat. Goldkettchen sind eigentlich ein modischer Fauxpas. Man muss sich deutlich vom üblichen Retro- und Proletenschick abheben, um sie tragen zu können. Ein hautenger Anzug ist ein gelungener Bruch, gebe ich anerkennend zu.

Die Goldkettchen sind also gut. Der Film ist gut. Leider wächst und wächst der Bierballon in meiner Blase. Dann droht er zu zerplatzen. Ohne den Abspann abzuwarten, springe ich auf, um vor den anderen Zuschauern draußen zu sein. Doch der Herr im Neoprenanzug ist schneller. Als er an mir vorbeisprintet, wackeln nicht nur die Goldkettchen. Ins Foyerlicht getreten, erhasche ich noch einen flüchtigen Blick auf den nackten Hintern. In der Hand hält auch er eine leere Flasche Bier.SONJA VOGEL