Hamburger Szene: Das Grundrecht auf Stille
Neulich fiel mir auf, dass auf meiner Fernbedienung die Buchstaben der Mute-Taste im Gegensatz zu den anderen fast völlig verschwunden sind. Ich erkläre es mir damit, dass ich beim Fußballgucken oft genervt vom Kommentar den Ton ausschalte. Der unvermeidbare Nebeneffekt: Auch die Stadion-Emotionen gehen verloren. Es wurde also Zeit, dem Millerntor mal wieder einen Besuch abzustatten – ohne Gequatsche, einfach nur Fußball!
Einen Tag später finde ich mich auf der Gegentribüne, oberhalb der Stehplätze wieder. Das Stadion ist voll, die Stimmung gut. Hinter mir sitzt ein Pärchen in den Dreißigern.
Mit dem Anpfiff ist die entspannte Atmosphäre vorbei. Er analysiert fachmännisch die ersten fünf Minuten: „Die spielen heute wieder einen Rotz zusammen“, brummelt er. „Was für ein Glück, dass wir nicht in der ersten Liga spielen.“ In diesem Tenor geht es nahezu ohne Pause weiter. Spielzüge werden zeitverzögert kommentiert, Szenen unverblümt bewertet, gute Spielansätze gnadenlos kaputt geredet. Kurz vor der Pause fordert sie nach einem Foul die gelbe Karte für St. Paulis Kapitän Morena und er reklamiert Hand, als Kiez-Stürmer Sako im gegnerischen Strafraum das Leder gegen die Brust bekommt.
Da ich leider keine Ohrenstöpsel parat habe, radele ich in der Pause schnell nach Hause. Dort angekommen, schalte ich den Fernseher ein, den Ton aus und genieße einen ruhigen Fußballnachmittag. JULIAN KÖNIG
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